Der illustrator Hermann Stockmann
Der Illustrator Hermann Stockmann (1867-1938) und das Kinderbüchlein „Vom lieben Bruder Konrad“
Hermann Stockmann in Oberlandler-Tracht, 1895, Hermann Stockmann um 1920
Hermann Stockmann in seinem Arbeitszimmer im Jahre 1937
Der in Passau geborene Hermann Stockmann (1867-1938) hat als Kunstmaler, Zeichner, Grafiker, Museumsmann, Heimatkundler und Arrangeur von Festzügen nachhaltige Spuren in der Kulturgeschichte Bayerns hinterlassen. Zu seinen Lebzeiten machten Zeitschriften und Bücher sein künstlerisches Wirken einem breiten Publikum bekannt, heute scheint er fast vergessen zu sein.
Stockmann war mit dem Passauer Kunstvereinspräsidenten Dr. Max Heberle (1864-1927) und seiner Frau Irene (1878-1949) eng befreundet, deren Haus an der Gewerbehalle (Ludwig-straße 1) kultureller und gesellschaftlicher Mittelpunkt von Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten war. In diesem Haus der Heberles wurde auch die Rettung der Neuburg ab dem Jahr 1908 in die Wege geleitet und der Kontakt zu dem 1902 gegründeten Münchener Landes-verein für Volkskunde und Volkskunde gesucht, wo Stockmann ein führendes Mitglied war. So konnte auf Initiative des Passauer Kunstvereins der Landesverein den Wiederaufbau der Neuburg als Künstlererholungsheim in die Wege leiten. Stockmann war es auch, der im Juni 1914 den großartigen Festtag für König Ludwig III. auf der Neuburg organisiert hat.
Besuch des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde auf Schloss Neuburg am Inn im Juni 1914
Von links. Dr. Max Heberle, Dr. Julius Groeschel, Dr. Gustav von Kahr, Rudolf Seitz, Hermann Stockmann, Ludwig von Herterich, Maria Kronenbitter-Buchner, Irene Heberle.
Ein Kinderbüchlein „Vom lieben Bruder Konrad“, illustriert von Hermann Stockmann
Bei seinen Literaturrecherchen stieß der Autor auf ein bislang unbekanntes Büchlein aus dem Jahr 1931, das vom Leben des Passauer Bistumsheiligen Bruder Konrad handelt und von Hermann Stockmann illustriert wurde.
Das Werk trägt den Titel:„Vom lieben Bruder Konrad“, Den Kindern erzählt von Georg Lutz“ und ist 1931 im Literarischen Institut von Haas u. Grabherr in Augsburg erschienen. Im Vorwort schwärmt der Autor Georg Lutz, dessen Lebensdaten bislang unbekannt sind, dass „ein bedeutender Kunstmaler eigens für mein Büchlein reizende Bilder gemacht (hat), und zwar hat er dazu geschrieben, daß ihm das eine herzinnige Freude gewesen ist.“
1930, also erst ein Jahr vor dem Erscheinen dieses Büchleins war Bruder Konrad seliggesprochen worden, und so fällt dieses Kinderbuch in den Zeitraum, wo man bestrebt war, für den nunmehr seligen Altöttinger Klosterpförtner die höchste Stufe, die Heilig-sprechung, zu erreichen. Dazu war es auch nötig, Stimmung zu machen und das heiligmäßige Leben Bruder Konrads einer breiten Öffentlichkeit kundzutun, den Erwachsenen und eben auch den lesekundigen Kindern.
All diese Initiativen gingen von dem Kapuzinerpater Joseph Anton Kessler (1868-1947) aus, der als Vizeapostulator den Selig- und Heiligsprechungsprozeß für Bruder Konrad beim Vatikan vorantrieb. Er war Bauherr der Altöttinger St. Anna Basilika, die von 1910 bis 1912 errichtet wurde. Als Quelle und Grundlage für das Kinderbuch nennt der Autor Georg Lutz eben das Buch von Pater Joseph Anton, das erst einige Jahre zuvor erschienen war:„Im Dienste Gottes und der Menschen, Ein Lebensbild des Dieners Gottes Konrad Birndorfer von Parzham, Laienbruder aus dem Kapuzinerorden, + 1894 in Altötting im Rufe der Heiligkeit, Verlag Josef Kösel und Friedrich Pustet, München, 1928, 220 Seiten.“
In der von Hermann Stockmann für Kinder illustrierten Biographie Bruder Konrads sind nicht nur das Leben Bruder Konrads und der Prozess der Seligsprechung beschrieben, sondern es werden auch die finanziellen Schwierigkeiten beim Bau der St. Anna Basilika genannt, denn das Bauprojekt drohte im Jahr 1911 zu scheitern. Ein Gebet Paters Joseph Anton Kessler half: „Bruder Konrad, wenn du ein Heiliger bist, dann schick´mir heute tausend Mark, denn ich brauche Geld.“
Tatsächlich, so wird den Kindern in anschaulicher Weise erzählt, kam am gleichen Tag ein Mann an die Pforte und bot die Summe für den Kirchenbau an. „Bruder Konrad, wenn du mir meine Kirche bauen hilfst, werde ich den Prozess zu deiner Seligsprechung einleiten und führen“, versprach Pater Joseph Anton. Bereits ein Jahr später, am 12. Oktober 1912, konnte die große und prachtvolle Basilika eingeweiht werden.
Nachdem Bruder Konrad am 13. Juni 1930 durch Papst Pius XI. seliggesprochen worden war, wollte Pater Joseph Anton auch seine baldige Heiligsprechung durchsetzen. Diese Zeit des Wartens auf die Entscheidung des Vatikans nahm der Autor Georg Lutz zum Anlass, in einer kindgerechten Sprache das Leben Bruder Konrads zu beschreiben und Hermann Stockmann zu bitten, Illustrationen für das Buch zu entwerfen. Denn Hermann Stockmann hatte 1931 bereits zahlreiche Bücher, auch eine beachtliche Anzahl von Kinderbüchern mit „reizvollem Bildschmuck zwischen Zeilen und Seiten“ versehen, so beschreibt seine vertraute Freundin Irene Heberle 1931 seine Zeichenkunst in den Heimatglocken.
An den schwarz-weißen Illustrationen spürt man, wie Stockmann seinen unwiderstehlichen Drang zu fabulieren auslebt und mit dem Zeichenstift kindgemäße Geschichten erzählt. Die Illustrationen Stockmann beginnen mit der Geburt von Hans Birndorfer (S.9) in einer Wiege auf dem Venushof in Parzham, der mit einer dicken Schneedecke auf dem Dach gezeichnet ist (S. 13).
Es ist eine bäuerliche Familienidylle, die Stockmann zeichnerisch ausbreitet, wenn die Mutter an stillen Winterabenden in der Bauernstube der um den Tisch versammelten Kinderschar aus alten Büchern „von Gott und den Heiligen“ erzählt, der Bub Hansl, wie er genannt wird, neben seiner vorlesenden Mutter sitzend, mit gefalteten Händen und schon mit einem Heiligenschein versehen (S. 17).
Die schwierige Zeit des Aufbegehrens in der Pubertät, die leidvolle Zeit, als der vierzehnjährige Hansl zuerst den Tod seiner Mutter, dann zwei Jahre später den seines Vaters erleben muss und wie er oft betend seinen bäuerlichen Tätigkeiten nachgeht, wird im Text angesprochen. Die Illustration zu diesen Textpassagen (S.19) zeigt ihn auf der Hausbank sitzen. Er zieht vor einer Frau, die ungutes über andere Leute sagen will, seinen Rosenkranz aus der Tasche und sagt zu ihr: „Beten wir den Rosenkranz, das ist gescheiter als das Leutausrichten.“
Das Kapitel „Wie aus dem Hansl ein Konrad geworden ist“ tut bildlich die Abschiedsszene im September 1849 dar, als er zu seinen vor dem Hausaltar versammelten Geschwistern „Worte voller Frömmigkeit und brüderlicher Liebe“ spricht (S.25).
Im Kapitel „Wie Bruder Konrad im Kloster heimisch wurde“ pflegt Bruder Konrad einen schwerkranken Pater in einer klösterlichen Zelle (S.29).
Im St. Anna Kloster zu Altötting, dessen Gotteshaus bildlich dargestellt ist, wird Bruder Konrad zum „stillen Helden an der Klosterpforte (S.43).
Bruder Konrads Arbeitsbereich, das Pfortenzimmer, ist mit Kruzifix und Schreibtisch sehr detailgetreu wiedergegeben (S. 59).
Stockmann erzählt in einem Bild von Konrads aufopfernder Tätigkeit „in Sorge für die unzähligen Armen und Kinder“, wie er von Kindern und Kranken umringt, Brot an sie verteilt (S. 69).
In einer weiteren Illustration wird dargestellt, dass Bruder Konrad bei einem Heimaturlaub jeden Morgen von Parzham zur heiligen Messe nach Weng ging, wobei er „betete mit den Schulkindern wie in einer Prozession auf dem Wege dorthin.“ (S.77).
Das Kapitel „Wie der liebe Gott ihn heimrief“ schildert seine letzten Stunden am 21. April 1894. Stockmann zeigt im Bild, wie Bruder Konrad „vor seiner lieben schmerzhaften Mutter“ in der Weihekapelle aufgebahrt ist, „umgeben von den ersten Frühlingsblumen (S.85).
Dass der hl. Vater am Nachmittag nach der Seligsprechung am 15. Jun 1930, die bereits am Vormittag in einem feierlichen Pontifikalamt mit Erzbischof Phillipp Palica im Petersdom in Rom vorgenommen wurde, selbst erscheint, um vor dem Bild des nun seligen Bruder Konrad zu beten, erzählt Stockmann den Kindern in einem ganzseitigen Bild (S.95).
Das letzte Bild führt nach Altötting, wo am selben Tag in einer Prozession „von vier Rottaler Rappen …die Reliquien des seligen Bruders mitgefahren“ wurden. (S.103).
Familie und Bildungsweg
Als Hermann Stockmann das Bruder Konrad Kinderbüchlein illustrierte war er in der Tat ein bedeutender und hochgeachteter Mann der Kunst und der Heimatkultur. Sein Leben und sein künstlerisches Schaffen in der Künstlerkolonie Dachau, wo er 1898 seinen Wohnsitz genommen hatte, wurde letztmalig in einer großen Sonderausstellung im Jahr 1988 und in zwei Katalogen zu seinem heimatpflegerischen Wirken und als „Dachauer Impressionist“ dokumentiert und gewürdigt.
In Dachau, Haimhausen und München-Solln erinnern jeweils eine Straße an ihn. Sein im Neubarock im Jahre 1899 erbaute Wohnhaus, das sogenannte„Spatzenschlössl“ wird von der Stadt Dachau Künstlern zur Verfügung gestellt.
Seine Geburtsstadt war Passau, wo er am 28. April 1867 in der Grabengasse geboren wurde. Beide Elternteile waren von der Kunst berührt. Sein Vater arbeitete als Porzellanmodelleur in der weltbekannten Passauer Firma Lenk in der Innstadt. Seine Mutter Clara hatte er „viel, ja unendlich viel an künstlerischer Erziehung und Anregung zu danken. Vom Anfang meines Auffassungsvermögens bis in die späten ‚Tage meiner weiteren Entwicklung“, schreibt er später in seinen biografischen Aufzeichnungen.
Clara Stockmann war Tochter des in Wien geborenen Bildhauers Fidelis Schönlaub (1805-1883), der ein Schüler Ludwig Schwanthalers in München war, der später auch in seinem Atelier arbeitete und ihn von 1839-1849 als Leiter der Bildhauerklasse an der Akademie vertrat.
Im Auftrag des Passauer Bischof Heinrich Hofstetter schuf Schönlaub ab 1860 Werke für die St. Johannkirche am Rindermarkt, die Votivkirche und für die Domfassade.
Hermann Stockmann verbrachte seine Kinderzeit in der Schmiedgasse in der Innstadt, wo die Eltern eine Wohnung beim Hafnermeister Rehaber gegenüber dem Gasthof „Zum Mondschein“. bezogen hatten. Da der Vater seine Tätigkeit in der Firma Lenk aufgab und eine neue Stelle bei der Firma Conta in Pößneck in Thüringen angenommen hatte, musste der 13 jährige Hermann zunächst ins Internat. Mit 14 Jahren kam der Knabe nach München auf die Realschule und durfte bei seinem Onkel wohnen.
Drei Jahre lang erhielt er in die Lehre bei der Dekorationswerkstatt Hintze und Allwang eine gediegene handwerkliche Ausbildung zur Entfaltung seiner großen dekorativen Begabung. Er besuchte jedoch auch Abendkurse an der Kunstgewerbeschule, die vor allem für junge Handwerker und Gewerbetreibende gedacht waren, um sie in Formen und Dekorlehre zu schulen. Mit den in seiner Freizeit entworfenen Skizzen suchte er schließlich den Münchener Akademieprofessor Gabriel von Hackl (1843-1926) auf, der ihn ermutigte, die Aufnahmeprüfung zu machen, die er ohne Wissen seines Vaters absolvierte und auch bestand. So öffneten sich ihm die Tore der Münchener Kunstakademie, wo er zunächst bei Hackl studierte.
Er wurde anschließend Schüler von Johann von Herterich (1843-1905) und Schüler des als Lehrer hochberühmten Wilhelm von Diez (1839-1907). Der erkannte in seinem Schüler den geborenen Illustrator, da er die Fähigkeit besaß, Landschaft, Architektur und Figur aus dem Gedächtnis, also ohne Modell, zu zeichnen. In der Studienzeit hielt er sich in den Sommermonaten öfter in dem Malereldorado Osternberg bei Brauau am Inn im österreichischen Innviertel auf, wo er wie Franz von Stuck, Johann Becker-Gundahl und die Schüler von Diez Gast des Gutsherrn Hugo von Preen (1854-1941) war.
Als Alternative zum akademischen Lehrbetrieb und in Konkurrenz zum Pathos der Historienmalerei arbeitete man, mit Staffeleien und Malutensilien ausgerüstet, vor der Landschaft, studierte die Veränderung des Lichtes und des Objektes unter freiem Himmel und versuchte das Atmosphärische so einzufangen, dass der flüchtige, unwiederbringliche Augenblick nicht verloren geht. Dieser Malstil zeigt sich auch in dem Ölbild „Blick auf Schärding-Neuhaus“ von 1922 in leuchtend schönen Farben , wo Stockmann seine Staffelei auf einer Anhöhe bei Vornbach hinstellt und den Inn mit Blick zu den Höhen der Alpen unter der Wirkung des Naturlichtes den Inn malt, der eingebettet zwischen den beiden Orten behäbig in Richtung Passau fließt.
Stockmann war ein Meister des freien Malens. Auf einem Foto sieht man Stockmann vor der Staffelei auf einem Hocker sitzen. In der Linken, aufgestützt auf seinen Schenkel, hält er die Palette mit den Farben, mit der Rechten führt er den Pinsel und trägt die Farben direkt auf ohne Vorzeichnungen und Lasuren.
Angeregt durch seinen Gastgeber Hugo von Preen beschäftigte sich Stockmann immer mehr mit handwerklichen Traditionen, dem Volksleben und der allerorts aufblühenden Volkskunde.
Im Sommer 1892 machte Stockmann von sich reden, als in der Tagespresse über einen spektakulären Rettungsakt berichtet wurde: „Dem Kunstmaler Hermann Stockmann in München wurde für die am 4. August 1892 unter schwierigen Umständen und mit eigener Lebensgefahr vollzogene Errettung der Bezirksthierarzttochter Julie Hausner von Burghausen vom Tode des Ertrinkens eine Rettungsmedaille verliehen.“
Dachau und München
1898 zog er nach Dachau und heiratete im August 1898 Caroline (Lina) Wocher, Apothekerstochter aus Neuburg am Inn. In Dachau gestaltete Stockmann in vielfältiger Weise das kulturelle Leben. Er war Mitbegründer des Museumsvereins und der Gemäldegalerie und als Gemeinderat setzte er sich für landschaftsgebundenes Bauen und Landschaftsschutz ein.
Gesellig wie Stockmann war pflegte er regen Kontakt mit Münchener Künstlerkreisen wie dem Künstler-Sängerverein und der Künstlergesellschaft „Allotria“. Wie sehr Stockmann die Allotria prägte, wird an einem Gedenkblatt „80 Jahre Alotria 1873-1953“ zum 80 Stiftungstag des Vereins im Jahr 1953 deutlich, das Paul Stollreither (1886-1973), ein Münchener Maler und Schüler Franz von Stucks, gestaltet hat. Unter den 30 Bildnissen der ehrenvollsten Mitglieder ist auch Hermann Stockmann aufgeführt.
1889 erschien seine erste Zeichnung in der illustrierten Wochenzeitschrift „Fliegende Blätter“, für welche er 30 Jahre lang eine unüberschaubare Anzahl von Illustrationen schuf. Bald darauf wurde er Mitarbeiter in der neugegründeten Zeitschrift „Jugend“.
Große Wirkung entfaltete Hermann Stockmann im Bayerischen Landesverein für Volkskunst und Volkskunde, der 1902 gegründet worden war, und wo er 1907 als Mitglied im Hauptausschuss Entscheidungsträger war. Im Auftrag des Landesvereins sammelte er bemaltes Mobiliar, bürgerliche Kleidung, bäuerliche Trachten und Schmuck, deren Erforschung, Dokumentierung und Bereitstellung für Museen man sich in diesen Jahren verstärkt zuwandte. Mit großer Leidenschaft erweckte er vergessenes Brauchtum zu neuem Leben wie das Dreikönigssingen und Krippenspiele, für die er Kostüme sowie die Bühnendekoration entwarf und Spielszenen in zeitgemäßer Form dichtete.
Diese Tätigkeiten förderten seine künstlerischen Intentionen als Maler und legitimierten seine volkskundliche Auseinandersetzung mit der dörflichen Umwelt in ihren Lebensformen und Sachgütern, die in vielen heimatkundlichen Studien von Gebäuden, Gerätschaften und Interieurs ihren Niederschlag gefunden haben. Viele seiner Ölbilder sind nicht nur als künstlerisches Produkt, sondern auch als bewusstes Dokument für bäuerliches Wohnen und Arbeiten zu betrachten. Die Ölbilder sind heimatpflegerisch orientiert, doch sind sie künstlerisch autonom und spiegeln in der hellen und leuchtenden Farbgebung den impressionistischen Ansatz Stockmanns wider, wie der Kunsthistoriker Horst Ludwig in seinem Katalogtext zur Ausstellung von 1988 schreibt.
Hermann Stockmann als Arrangeur von Festzügen
Große Anerkennung erwarb sich Hermann Stockmann für das Arrangieren mehrerer großer Festzüge, was ein hohes Maß an historischen Kenntnissen auf dem Gebiet der Kostüm- und Waffenkunde erforderte. So zog man Stockmann bei den Festlichkeiten zur Grundsteinlegung des Deutschen Museums vom 11. bis 13 November heran, die in Anwesenheit des Deutschen Kaisers Wilhelm II. und seiner Frau auch mit einem großen Festzug durch die mit Dekorationsbauten festlich geschmückten Straßen Münchens begangen wurden, wobei sich zahlreiche Berufe und Vereinigungen in lebenden Bildern präsentierten.
Hermann Stockmann hatte die Aufgabe, drei Gruppen zu gestalten, nämlich die Friseur- und Perückenmacher-, die Buchbinder- und die Huf- und Wagenschmied-Innung, wobei deren „malerische, höchst originelle Aufstellung“ besonders vermerkt wurde. Weshalb diese Festlichkeiten so gut dokumentiert sind und auch dem heutigen Betrachter höchste Bewunderung abverlangen, lag auch an Hermann Stockmann, der in zwölf bis aufs Detail gestalteten sehr dekorativen Bildern diese Szenen festgehalten hat. Er hat diese Aquarelle Prinzregent Luitpold zum Geschenk gemacht, die dann als „farbige Reproduktionen nach den im Besitz Sr. Kgl. Hoheit des Prinzregenten Luitpold von Bayern befindlichen Originalen von Hermann Stockmann“ in der Mappe „München im Festschmuck“ veröffentlicht wurden.
1910 war Stockmann als Vertreter des Vereins für Volkskunst- und Volkskunde bei der Hundertjahrfeier des Oktoberfestes im Festausschuss und gestaltete den „Historischen- und Huldigungsfestzug des Bayerischen Landes“ am 25. September 1910, bei dem als Repräsentanten im Zug der Niederbayern, angeführt von Stockmanns Passauer Freunden Dr. Max und Irene Heberle, „Passauer Bürger und Bürgerinnen -diese in reicher goldener Haube über dem gescheitelten Haar- vorausgingen“.
Den Jubiläums-Oktoberfestzug in München 1910 führen Max Heberle und seine Frau Irene an Stockmann selbst hatte als künstlerischer Leiter des Festzuges die Ehre, im Königspavillon auf der Theresienwiese dem Prinzregenten Luitpold die einzelnen Gruppen und Wagen zu erläutern. Der Festzug begann mit der historisch getreuen Nachbildung des festlichen Aufzuges zum ersten Pferderennen, das das Oktoberfest begründete. Der zweite Teil galt dem Land Bayern und der Landwirtschaft. Den Zug eröffneten Vorreiter mit Wappen und Fahnen, Fahnenschwenker zu Fuß symbolisierten die acht Kreise Bayerns.
Es folgte ein Wagen mit einer riesigen Buchbaumkrone und acht Trachtenpaaren. Die einzelnen Kreise und Städte wurden durch Trachtengruppen und für die Gegend typischen landwirtschaftlichen Berufe dargestellt. Den letzten Abschnitt des Zuges bildeten Preisfahnenträger und Armbrustschützen in mittelalterlichen Trachten.
Als Dank für diese mühevolle Mitarbeit zur künstlerischen Gestaltung des Jubiläumsfestzuges erhielt Stockmann vom Königshaus den Ehrenprofessorentitel verliehen.
In gleicher Weise war Stockmanns Erfahrung in der Gestaltung von Festen auch an anderen Orten gefragt, so bei der Jahrhundertfeier der Napoleonischen Befreiungskriege, die zusammen mit dem 50 jährigen Bestehen der Befreiungshalle in der Stadt Kehlheim in Anwesenheit des Kaisers Wilhelm II. und König Ludwig III. am 25. August 1913 begangen wurde.
Einen Monat vor Beginn des Ersten Weltkrieges feierte am 28. Mai 1914 die Stadt Aichach ein großes Jubiläumfest in Gegenwart von König Ludwig III. und seiner Gemahlin Königin Marie, denn das bayerische Herrschergeschlecht hatte vor 800 Jahren seinen Stammsitz auf die fortan namensgebende Burg Wittelsbach verlegt.
1934 wurde der Festzug zur Stadterhebung von Dachau nach detaillierten Entwürfen von Stockmann gestaltet. 1937 verlieh ihm die Stadt Dachau die erste Ehrenbürgerwürde.
Eine Welt der Vergangenheit
Hermann Stockmann versah die fünfbändige Kulturgeschichte Münchens von Karl Trautmann „Kulturbilder aus Alt-München“ (1913-1930) mit Illustrationen. Er lieferte Bilder und Buchschmuck für eine Vielzahl von Kinder- und Märchenbüchern, Gedichtbänden, Romanen und Erzählungen. Hier werden immer wieder genannt: die Märchen von Wilhelm Hauff (1918), das „Hutzelmännleinmärchen“ von Eduard Mörike (1919), „Aus dem Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“ von Johann Peter Hebel oder Gottfried Kellers Novelle „Der schlimme heilige Vitalis“.
Stockmann wurde auch selbst zum Dichter, schmiedete kleine Verse und erschuf seine eigene Welt in Bilderbüchern. In dem Sammelband „Kleinstadtzauber“ mit seinen besten und bekanntesten Zeichnungen beschreibt Stockmann eine Welt der Vergangenheit „mit traulichen Gassen, in denen es abends kein Licht gibt als den etwaigen Mondschein, durch die der brave Bürger mit der Laterne in der Hand vom Wirtshaus heimgeht, eine untergegangene Welt, nach der heute eine neue Sehnsucht erwacht ist“, so der Schriftsteller und Kunstkritiker beim Münchener Merkur Richard Braungart (1872-1963) in der Einleitung zur Neuauflage von 1956.
Stockmanns Bildergeschichten wirken rückwärts gerichtet, weil er „sehnsüchtig jener altväter-lichen, vermeintlich idyllischen Vergangenheit des biedermeierlichen Kleinstädtertums und romantischen Bauernlebens nachhing“, so charakterisiert Ursula Katharina Nauderer im Ausstellungskatalog von 1988 das Weltbild Stockmanns. Es ist „eine biedermeierliche, schein-bar behagliche, gemütvolle und statische Welt. Enge, romantische Gassen mit hochgiebeligen Häusern, mit Türmen und Brücken, Torbögen und Brunnen, kleine überschaubare Dörfer mit alten niedrigen Bauernhäusern und Dorfkirchen.“
Stockmann, der in Passau aufgewachsen ist, kannte diese Welt von klein auf, diese verwinkelten romantischen Plätze und Gassen und hat sie verinnerlicht. Zeit seines Lebens suchte er Orte wie Passau auf, die ihm diese Welt der behaglichen Biedermeierlichkeit und barocken Lebensform boten. Es ist eine untergegangene Welt, nach der heute eine neue Sehnsucht erwacht ist.