Der Ginkgopark in Vilshofen an der Donau gestaltet von Bürgern für die Bürger zum 800 jährigen Stadtjubiläum im Jahre 2006 – eine beispiellose bürgerschaftliche Gemeinschaftsaktion

Der Ginkgopark in Vilshofen an der Donau gestaltet von Bürgern für die Bürger zum 800 jährigen Stadtjubiläum im Jahre 2006 – eine beispiellose bürgerschaftliche Gemeinschaftsaktion

Als die Stadt Vilshofen an der Donau im Jahr 2006 die 800jährige Stadterhebung feierte, suchte der damalige Bürgermeister Hans Gschwendtner nach Vorschlägen für die Gestaltung dieses Jubiläums, das etwas ganz Besonderes mit großer und nach-haltiger Symbolkraft sein sollte.

Da das Kulturreferat des Landkreises Passau mit seiner Veran-staltungsreihe zur „GartenKunst im Passauer Land“ bereits neue Akzente im Kulturleben des Landkreises Passau gesetzt hat, schlug der Landschaftsgärtner Hermann Scheuer vor, den bekannten Berliner Baumpaten und Aktionskünstler Ben Wagin anzusprechen und ihn in dieses Projekt mit einzubinden.

Der Berliner Aktionskünster Ben Wagin (geb. 1920)

Ben Wagin ist durch den von ihm im Jahr 1990 initiierten Erinnerungsort „Parlament der Bäume“ zum Gedenken an die Toten am ehemaligen Grenzstreifen der Berliner Mauer bekannt geworden.

Gedenktafel Tiergarten, Parlament der Bäume

Ben Wagin hat sich in seinen Kunstprojekten immer für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden eingesetzt. So entwickelte sich mit Ben Wagin die Idee eines Parks mit Gingkobäumen als Zeichen des Friedens und des bürgerschaftlichen Engagements. Der Ginkgo, der die Zeitläufe der Erdgeschichte überdauert hat und als ältestes pflanzliches Lebewesen gilt, wurde zur Jahrtausendwende zum Baum des Jahrtausends ernannt und ist Mahnmal für Umweltschutz und Frieden. Dieser Friedensgedanke spielte bei den Überlegungen deshalb die zentrale Rolle, weil Vilshofen 1989, im Jahr der gewaltfreien friedlichen Revolution in Deutsch-land, für viele DDR Bürgerinnen und Bürger zum Tor der Freiheit geworden ist.

Es sollte ein öffentlicher Park für alle Bürger werden, gestaltet von den Bürgern selbst, etwas Einzigartiges und Nachhaltiges, ein Park, den es so in der Region und in Europa noch nicht gibt. Der Gingkohain sollte die Form eines Gingkoblattes haben.

Die Vision war, dass die Gingkobäume in 100 Jahren ein geschlossenes Laubdach bilden würden und man darunter wandeln könnte wie in einem Zauberwald.

Als Platz für diese Bürgerpark wurde ein vier Hektar großes Areal, das „Bleiche“ heißt und an der Vils liegt, ausgesucht. Von dort aus sind die Sichtachsen auf das Kloster Schweiklberg und zur Vilshofener Pfarrkirche St. Johannes der Täufer klar erkennbar.

Postkarte des Postkartenpioniers Eugen Felle (um 1910) mit dem
Kloster Schweiklberg und der Vilshofener Pfarrkirche

Sichtachse zur Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer, Sommer 2020

Sichtachse zur Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer, Oktober 2020

Sichtachse zum Kloster Schweiklberg, Sommer 2020

Sichtachse zum Kloster Schweiklberg, Oktober 2020

Mythos Ginkgo – ein lebendes Fossil

Ausgestattet mit perfekten Überlebensstrategien, durchpulst von sensibler Kraft und von ästhetischer Schönheit, beeindruckt und fasziniert der Gingko weltweit uns Menschen.

Der Ginkgo biloba Baum ist ein unglaubliches botanisches Phänomen, wenn man bedenkt, dass die Urform dieses Baumes bereits vor über 300 Millionen Jahren auf der Erde heimisch war. Bis zu 1000 Jahre alt und 40 Meter hoch werden die Bäume. Zu solch einem langen Leben verhilft ihm seine extreme Wider-standsfähigkeit und Robustheit.

Es war der deutsche Naturforscher, Botaniker und Arzt Engelbert Kaempfer (1651 – 1716), dem die Wiedereinführung des Gingko, der auch Fächerblattbaum, Elefantenohrbaum oder auch Welten-baum genannt wird, in Europa zu verdanken ist.

Kaempfer sah im Februar 1691 das erste Mal in seinem Leben einen Ginkgobaum in Nagasaki. Man verzehrte in Japan die gerösteten Ginkgo- Nüsse als Spezialität, um eine gute Gesund-heit und ein langes Leben zu fördern.

Engelbert Kaempfer „Amoenitatum Exoticarum“ (Lemgo, 1712),
Britisches Museum London

Beschreibung des Gingko in Engelbert Kaempfer
„Amoenitatum Exoticarum“ (Lemgo, 1712), Britisches Museum London

In seinen Schriften beschreibt Engelbert Kaempfer als erster den Ginkgo umfassend für die westliche Welt. nachzulesen in seiner ,,Beschreibung des japonischen Reiches“, enthalten in seinem berühmtesten Werk „Amoenitatum Exoticarum“ (Lemgo, 1712), welches im Britischen Museum in London aufbewahrt wird.

Um 1730 wurden in Utrecht und Leyden (Niederlande) die ersten Versuche unternommen, den Ginkgo-Baum wieder in Europa heimisch zu machen. Den Erfolg zeigen noch heute in den botanischen Gärten von Leyden und Utrecht damals gepflanzte Ginkgos.

Der Gingko eroberte schnell die botanischen Gärten und Parks. Nachdem man in Tokio entdeckte, dass der Baum sogar abgehärtet gegenüber Autoabgasen ist, begann sein Siegeszug in den modernen Großstädten. Er ist weltweit in den großen Städten einer der beliebtesten Allee Bäume, da er resistent ist gegen alle Arten der Umweltverschmutzung. Er besitzt eine außergewöhn-liche natürliche Immunität gegenüber Schädlingen, Bakterien, Viren und Umweltverschmutzung.

Wie widerstandsfähig der Ginkgo Baum ist, hat er nicht zuletzt nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima in Japan im Jahr 1945 unter Beweis gestellt. Lediglich der Ginkgo Baum hat die Atomkatastrophe überstanden. Noch im gleichen Jahr bildeten sich wieder neue Triebe und der Baum überlebte.

Laubbaum oder Nadelbaum ?

Da der Gingko Blätter trägt, geht man meist davon aus, dass es sich beim Ginkgobaum um einen klassischen Laubbaum handelt. Doch seine Form ist vielmehr mit einem Nadelbaum vergleichbar. Experten vermuten, dass seine hübschen Blätter aus Nadeln ent-standen sind und klassifizieren den Ginkgo daher nicht als typ-ischen Laubbaum.

Seine Blätter erinnern an die Form eines Fächers, weswegen er auch Fächerblattbaum oder auch Elefantenohrbaum genannt wird. Erstaunlich aber ist die Fortpflanzung des Ginkgo. Der Baum ist zweihäusig, das heißt, es gibt weibliche und männliche Bäume, die erst im Alter von etwa 30 Jahren Blütenstände aus-bilden, wobei im männlichen Geschlecht die schlanke oder kegel-förmige Säulenform, im weiblichen Geschlecht die ausladende Kronenform überwiegt.

Baum des Jahrtausends, Symbol der Freundschaft, des gegenseitigen Verständnisses und der Liebe.

Besonders in Südostasien können wir von einem Ginkgo Kult sprechen, einer geradezu mythischen Verehrung dieses Baumes. Die besondere Blattform des Ginkgos repräsentiert im asiatischen Raum Yin und Yang. Es soll die untrennbare Verbindung des weiblichen und männlichen Prinzips, die Korrelation von Emotion und Kraft darstellen.

Auch in Europa wird das Interesse am Ginkgo immer größer, sei es bei der Erforschung und Nutzung in der Medizin, in der Kunst, in der Literatur.

Das symbolhafte zweigeteilte Ginkgo-Blatt, dieses aus den einstigen Nadeln zusammengewachsene Fächerblatt, ist ein Phänomen in der Pflanzenwelt, das dem Ginkgo seinen beson-deren Reiz verleiht.

Ein unverwechselbares Charakteristikum ist der mehr oder minder tiefe Einschnitt des Blattes. Die Blätter des Ginkgobaumes sind intensiv grün strahlend, fächerförmig angeordnet und hüllen das Geäst des Baumes von April bis November in sein charakter-istisches Laubkleid.

Die im Frühjahr wachsenden Ginkgo-Blätter haben zunächst eine zartgrüne Farbe, die sich später zu einem satten dunkelgrünen Ton wandelt.

Im Herbst leuchten die Blätter in schönen Goldtönen. Dann prä-sentiert sich fast drei Wochen lang der Ginkgo in dieser Farben-pracht. Selbst im Winter ohne sein Blätterkleid ist der Ginkgo eine majestätische Erscheinung.

Ginkgo Blätter haben eine vielschichtige Symbolkraft. Sie sind Symbol für Frieden, Liebe, Verständnis, Freundschaft, Verbun-denheit und Fruchtbarkeit. Dabei symbolisiert der verbundene Blattteil am Blattstiel die gemeinsame Basis, während die beiden Teile des Blattrandes die Individualität und die Freiräume darstellen.

Zum Jahrtausendwechsel erklärte das deutsche „Kuratorium Baum des Jahres“ den Ginkgo zum Mahnmal für Umweltschutz und Frieden und zum Baum des Jahrtausends.

Bürgerschaftliches Engagement – Bürger und Bürgerinnen als Baumpaten

Möglich gemacht haben das Projekt die Vilshofener Bürgerinnen und Bürger selbst, weil sie einen Spaten in die Hand nahmen und selbst einen Gingkobaum pflanzten. Die Baumpaten konnten ihre Namen in den nassen Lehm von Lehmziegeln verewigen, die an-schließend in einer Ziegelei gebrannt und von der Vilshofener Stadtgärtnerei vor den jeweiligen Bäumen gesetzt wurden.

Ben Wagin und Bürgermeister Hans Gschwendtner 2006

Ben Wagin und Hermann Scheuer

Im Gegensatz zu den obrigkeitlichen Repräsentationsparks vergangener Herrschaftsordnungen steht der Gingkopark, der von den Bürgern selbst gepflanzt wurde, für aktives bürgerliches Selbstbewusstsein. So machten die Bürgerinnen und Bürger ihrer Heimatstadt mit ihrem eigenen Ginkgo ein Geschenk zum 800. Geburtstag von Vilshofen.

Der Park von Bürgern für Bürgern ist nun ein prägendes Element der Kulturlandschaft mit hohem Stellenwert und von langer Dauer. In 100 Jahren ist der Ginkgopark eine Weltsensation, wenn die Bäume groß gewachsen sind und ihre Blätter zu einem Blätterdach verweben.

Ginkgo biloba
Gedicht Johann Wolfgang von Goethe

Zum Bekanntheitsgrad und zur Verbreitung des Ginkgos in Deutschland hat das Gedicht mit dem Titel Gingo biloba wesent-lich beigetragen, das der 66 Jahre alte Goethe im September 1815 schrieb und 1819 in seiner Sammlung West-östlicher Diwan veröffentlichte.

Es war im September 1815 als das Gedicht entstand und es ist nachzulesen, dass sich Goethe, der sich damals in Heidelberg aufhielt, und mehrmals im Heidelberger Park mit Freunden die Blätter des Ginkgobaumes betrachtete und mit ihnen über die Art und die Form dieser Blätter fachsimpelte.

Eines der Gingkoblätter übersandte Goethe als Ausdruck seiner Zuneigung an die damals 31 jährige Marianne von Willemer, Tochter eines Frankfurter Bankiers, – Goethe war schon über 60.

Die erste Reinschrift des Gedichtes schickte Goethe am 29. September 1815 in einem Brief an Marianne von Willemer,

Faksimile des Gedichtes Gingko biloba von Johann Wolfgang von Goethe

( © GOETHE-MUSEUM DÜSSELDORF Anton und Katharina-Kippenberg Stiftung )

Ginkgo biloba

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie’s den Wissenden erbaut.

Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt ?
Sind es zwey, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt ?

Solche Frage zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin ?

( Johann Wolfgang von Goethe
AD 1815 – gewidmet
Marianne von Willemer )

Die Berliner Mauer im Gingkopark- ein Stück Zeitgeschichte

Originalstück der Berliner Mauer mit Originalgraffiti

Gedenktafel an der Berliner Mauer gestaltet von Edeltraut Göpfert

Mit der Berliner Mauer im Gingkopark ist ein Hauch Weltge-schichte zu spüren. Vilshofen an der Donau rückte im September 1989 in den internationalen medialen Fokus, als eine große Zahl von DDR-Flüchtlingen über Ungarn in den „Westen“ floh. Etwa 1400 Menschen kamen in Vilshofen an, dem damals größten Erstaufnahmelager für Übersiedler im Regierungsbezirk Nieder-bayern.

Dieses Stück der Berliner Mauer soll daran erinnern, dass im September 1989 in Vilshofen eine Zeltstadt für die DDR-Flücht-linge errichtet worden war, wo die Ankommenden einen ersten Zufluchtsort fanden und Vilshofen für sie zum Tor der Freiheit wurde.

Der Flüchtlingsstrom löste damals eine bemerkenswerte Welle der Hilfsbereitschaft seitens der Bevölkerung aus.

Diese Ereignisse prägen in besonderem Maße die Geschichte des Passauer Landes, Bayerns, Deutschlands und Europas.

Im Jahr 2011 gestaltete Ben Wagin die Rückseite des Original-stücks der Berliner Mauer im Gingkopark und schlug damit eine Brücke zu seiner einstmals durch Stacheldraht und Mauer ge-teilten Heimat-stadt Berlin.

Rückseite der Berliner Mauer gestaltet von Ben Wagin, 2011

Carossa-Pavillon ziert den Ginkgopark

Der Dichter und Schriftsteller Hans Carossa (1878-1956) ist ein großer Sohn der Stadt Vilshofen. Im Lenzengütl, dem Anwesen seiner Familie in Seestetten, baute er sich auch eine kleine Gartenlaube. Diese wurde versetzt und ziert nun den Ginkgopark in Vilshofen.

Spielplatz im Gingkopark

Der Gingkopark steht allen Altersgruppen offen. Erholung an Leib und Seele, entspannen, genießen, aktiv sein, für Spiel und Spaß des jungen Publikums stehen im Spielgarten zahlreiche Geräte bereit, Schaukeln, Rutschen, Wippen, Klettergerüste.

Allee der Bäume des Jahres im Gingkopark

Den Weg zum Gikgopark säumt eine Allee mit jährlich gepflanzten Jahrbäumen.

Seit 1989 ruft die „Dr. Silvius Wodarz Stiftung“ alljährlich den „Baum des Jahres“ aus. Die Jahrbäume werden der Stadt Vilshofen an der Donau alljährlich vom Jagdverband Vilshofen gestiftet. Dieser wird dann von den Stadtgärtnern in die „Allee der Bäume“ im Ginkgo-Park gepflanzt, die so jedes Jahr um einen neuen Jahres-Baum anwächst. Mittlerweile reihen sich bereits viele Bäume in der „Allee der Bäume“ ein. Darunter beispielsweise die Elsbeere, die europäische Lärche und der Berg-Ahorn, der Wild-Apfel und imn Jahr 2020 die Robinie. So wächst die „Allee der Bäume“ jedes Jahr um einen neuen „Baum des Jahres“.