1. Station: Der Paradiesgarten auf Schloss Neuburg – ein Juwel der Gartenkunst
1. Station: Der Paradiesgarten auf Schloss Neuburg - ein Juwel der Gartenkunst
Vogelschaukarte des Postkartenpioniers Eugen Felle, um 1910
Karte von Matthäus Seutter (1678-1757), um 1720, Ausschnitt
Schloss Neuburg war einstmals der Herrschaftssitz der Grafschaft Neuburg, die von 1330 bis 1803 zu Habsburg-Österreich gehört hat.
In den ehemals weitläufigen Gartenanlagen bildet der Paradiesgarten einen gärtner-ischen Höhepunkt, der auf den damaligen Besitzer der Grafschaft Neuburg, Georg Ludwig Graf von Sinzendorf (1616-1681), zurückgeht, der Hofkammerpräsident des Kaisers Leopold I. (1658-1705) in Wien war.
In den historischen Quellen auch „Prunkgärtl“ genannt, zeugt dieser Garten in ganz besonderer Weise vom Reichtum und von der Prachtliebe seines Auftraggebers.
Umgürtet von einer Mauer, einem Portal und einer Grotte, mit einem Brunnen in der Mitte, überrascht dieser stimmungsreiche Paradiesgarten den Besucher mit gefühls-betonten Effekten und melancholisch-heiteren Kontrasten.
Die opulente Bepflanzung erfreut das Herz jeden Besuchers. Der Garten ist abwechs-lungsreich in Formensprache und Pflanzenvielfalt. Der dekorative Lavendel, der die vier Gartenbereiche einrahmt, die Sommerblumen und die farbig gestalteten Beete bilden ein üppiges Gartengemälde.
Der Paradiesgarten ist eine Schatzkammer botanischer Schönheiten, eine Welt, die mit Farben überflutet ist. Die Kombination zarter, pastelliger Farbtöne, dazu die kräftigen und leuchtenden Farbakzente sorgen für eine romantische, ja träumerische Atmosphäre. Die Blumen verströmen aromatischen Duft und der zentrale Spring-brunnen belebt durch die Spiegel- oder Geräuscheffekte des Wassers den Garten.
Das rechteckige, viergeteilte Parterre mit einem zentralen Brunnen war das Haupt-motiv des europäischen Gartens. Seit der Antike versinnbildlicht dieses geometrische Schema das Urbild eines Gartens in den unterschiedlichsten Kulturkreisen und gilt als Abbild des Paradieses und der göttlichen und der natürlichen Ordnung der Welt. Auch der Garten Eden (nach 1. Mose 2, 8 und 2, 15), der biblische Paradiesgarten des ersten Menschenpaares, war architektonisch umschlossen. In diesem eingefrie-deten Bereich genossen die Menschen göttlichen Schutz. Die Christenheit des Mittel-alters projizierte auf die Jungfrau Maria die Seele des paradiesischen Gartens: unberührt, unschuldig und geborgen.
Die Gartengrotte – Darstellung der natürlichen Schätze der Grafschaft
Den Garten dominiert eine Grotte; sie setzt an der Stirnseite in Richtung Inn einen ganz besonderen räumlichen Akzent. Die Grotte steht im direkten Zusammenhang mit den merkantilistischen Unternehmungen und dem Wirtschaftsprogramm des Grafen Sinzendorf, der in seiner Grafschaft Neuburg Handwerk und Betriebe an-siedelte. Die Grotte bot Sinzendorf die Möglichkeit, seinen Reichtum und die natür-lichen Schätze aus seiner Grafschaft zur Schau zu stellen.
Johann Joachim Becher (1635-1682), Denkschrift zur Förderung der Wirtschaft mit
Widmung an Georg Georg Ludwig von Sinzendorf
Sinzendorf war Anhänger des Volkswirtschaftlers Johann Joachim Becher (1635-1682), dem originellsten und bedeutendsten Merkantilisten und Wirtschaftsdenker des 17. Jahrhunderts. Wegen der allgegenwärtigen Finanznot ging es Becher darum,kommerzielle Formen und Aktivitäten in die Welt der Fürstenhöfe einzuführen. Auch sollte die Steuerkraft ihrer Untertanen durch gezielte wirtschaftspolitische Maß-nahmen erhöht werden.
Becher bot Lösungsvorschläge an, wie die Produktivität des Handwerks für den Hof und den Fürstenstaat nutzbar gemacht werden könnte. Letztlich ging es darum, neue Geldquellen zu erschließen, um den Fürsten von der Notwendigkeit zu entheben, seine Untertanen mit hohen Steuern zu belasten. Die Initiativen, die vom Kaiserhof ausgingen, sprangen auf Sinzendorf über, der Bechers Vorschläge begierig aufgriff.
So wurden die Grafschaft Neuburg und andere Besitzungen Sinzendorfs zum Experi-mentierfeld für die Idee Bechers, in Manufakturen Reichtum und Geld zu erwirt-schaften. Im Sinne der merkantilistischen Visionen von Johann Joachim Becher wollte Sinzendorf den Wohlstand seiner Ländereien heben und sie zu Mustergütern machen.
Im Sinne dieser ökonomischen Grundsätze von Johann Joachim Becher, die Kom-merz mit Alchemie verbanden, wurde Graf Sinzendorf tätig und machte die Graf-schaft Neuburg zum Modellfall der Verwirklichung von Bechers Wirtschaftstheorien.
So gingen die neuen Erwerbszweige und industriellen Fabrikationsstätten, die im Mikrokosmos der kleinen Grafschaft entstanden, direkt auf Becher zurück: Gold- und Silberdrahtfabrikation, Salpetergewinnung, Papier- und Pulvermühle, Ölher-stellung, Kalk- und Ziegelbrennerei und Tabakpflanzung, Bergwerk, Glasfabrik.
Bei der Burg Neufels stand eine Pulvermühle zur Herstellung von Schwarzpulver. Der zur Pulverzubereitung nötige Salpeter (Saliter) wurde in einem Stadel in der Nähe des „Tomel-stadl-Würthshauses“, wie das Urbar von 1674 aufweist, die Holzkohle aus Erlenholz gewonnen, den Schwefel bezog man über Passau. Das Musketenpulver bot man in Fässern zum Kauf an.
Das Pulver wurde zum Sprengen in den Steinbrüchen, zum viermaligen Schießen in den Rauhnächten, bei der Fronleichnamsprozession in Wernstein und zum Feuer-werk anlässlich der Anwesenheit des Kaisers Leopold I. und seiner Braut im Dezem-ber 1676 verwendet.
Auch Sinzendorf war bestrebt, dem Vorbild des Kaiserhofes folgend, den Stein des Weisen zu finden und suchte nach der Möglichkeit, unedle Metalle zu Gold zu ver-wandeln. Deshalb ließ Sinzendorf im Sinne Bechers neben den industriellen Unter-nehmungen auch alchemistische Experimente zur Herstellung von Gold vornehmen.
Der Fabrikationsraum und die Schmelzhütte dazu befanden sich in der Burg Wern-stein. Dort hatten bereits im Jahre 1661 Drahtzieher, Goldspinnerinnen und Borten-wirker damit begonnen, Gold- und Silberdraht herzustellen.
Im Jahre 1675 probierte ein welscher „Goldwascher“ mit Namen Adam Luders sein Glück, Gold zu suchen oder sogar herzustellen, wofür er vier Pfund Salpeter brauchte.
Die in Form einer Triumphbogenarchitektur im Jahr 1670 erbaute Grotte wird dem Passauer Domstuckateur Giovanni Battista Carlone (um 1640-1721), einem der bedeutendsten Stuckateure seiner Zeit im süddeutschen Raum, und seinem Gehilfen Giorgio Spazzo zugeschrieben.
Die Grotte ist konzipiert als Kosmos im Kleinen, in dem die Natur kultiviert und durch Kunst überhöht wird. Es gehört zum Prinzip von Grotten, die Natur mit künstler-ischen Mitteln nachzubilden. Dies geschieht durch die Verwendung von Dingen aus der Natur, die aber in kunstvoller Anordnung präsentiert werden. Sie stellen ein Medium dar, eine künstliche Natur neu zu schaffen.
Die Neuburger Grotte macht den Triumph der Kunst über die Natur beziehungsweise ihre Symbiose erlebbar, symbolisiert fürstlichen Reichtum und demonstriert aristo-kratische Repräsentation. Von der Gestalt her ähnelt die Grotte einem Mutterschoß und gilt als Metapher für die zeugende und formende Kraft der Nahrung spendenden Mutter Erde.
Als Stätten von Geburt und Tod, Vergehen und Wiedergeburt, Abstieg und Aufer-stehung bergen Grotten die tiefsten Wahrheiten. Deshalb seien aus dem Erdinneren die letzten Wahrheiten zu ziehen. Grotten galten als konzentrierte Abbilder des Uni-versums. Ihre Gesteine bilden die Fundamente für alle menschlichen Behausungen. In der Erde entwickeln sich die Erze, die den Reichtum eines Landes gewährleisten. Deshalb bildete einstmals eine aus Erz gegossene Brunnenfigur, aus der Wasser sprudelte, das Zentrum der Grotte.
Um die Natur zu imitieren, spielt Giovanni Battista Carlone mit der Wirkung von unterschiedlichen, nach Farbe, Größe und Oberflächenstruktur geordneten Materialien: Schlacken, Kieselsteine, Bruchstückchen aus Kalkstein, Muscheln und gefärbte Tuffsteine. Zu neuen Materialkompositionen zusammengestellt sollten diese gefärbten Naturmaterialien in übersteigerter Form die Naturschöpfung einer natür-lichen Grotte übertreffen.
Der reizvolle Kontrast von Verspieltheit und Strenge findet seine Ergänzung in dem raffinierten Arrangement der zahlreichen Spiegel, die im Inneren der Grotte eine zauberhafte Wirkung entfalten. Carlone verdeutlicht mit diesen schimmernden und farbenprächtigen Materialien den Reichtum der Grafschaft Neuburg an Boden-schätzen, die die im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Ertüchtigungspro-gramm des Grafen Sinzendorf für seine Grafschaft standen.
Die Tuff- und Kieselsteine und die Kalksteinbröckchen symbolisieren alle Gesteine der Erde, die ein Hinweis auf die Kalk- und Ziegelöfen sein sollten, die in der Graf-schaft Neuburg betrieben wurden. Gerade nach dem Passauer Stadtbrand 1662 war ein riesiger Bedarf an Baumaterial zu decken.
Ornamente, gefärbte Schlacken
Terme (Herme) an der Fassade
Die Schlacken sollten zeigen, dass in der Grafschaft Neuburg Erze zur Eisenher-stellung gewonnen wurden. Der Muscheldekor weist auf Perlfischerei hin, denn am Laufenbach, der bei Seestetten in die Donau mündet, gab es beachtliche Bestände an Perlmuscheln. Wegen des Holzreichtums des Neuburger Waldes entstand auch eine Glasfabrikation in der Grafschaft Neuburg, die die Spiegel für die Grotte lieferte. Die schimmernden, flimmernden und farbenprächtigen Naturmaterialien, zu fanta-sievollen geometrischen Ornamenten geordnet, bilden den Dekor der Fassade, des Fußbodens, der Wandfelder und der Decke und sind eine Anspielung auf die Natur als Schöpferin und Meisterin der Formgebung.
Die Vorliebe für das Absonderliche und Skurrile manifestiert sich in den drei Termen (Hermen) an der Fassade, die als Atlanten gestaltet sind und eine architektonische Stütze bilden.
Zwei dieser armlosen, männlichen, titanischen Himmelsträger flankieren als Wächter beidseitig die Fassade der Grotte.
Diese überlebensgroßen, vollplastisch durchgebildeten, sehr muskulösen Atlanten sind grandios modelliert, ihre Haare, Bärte und Lendenschürze von Tropfstein über-wuchert. Ihre Augen aus Spiegelglas beseelen ihr bizarres Mienenspiel. Die drei Termen (Hermen) machen durch ihr martialisches Aussehen und ihrer absonder-lichen Mimik aus der Grotte einen geheimnisvollen Ort, den man mit einer gewissen Ehrfurcht betritt.
Über einem abschließenden Muschelfries erhebt sich in Form eines Triumphbogens der über einem verkröpften Gebälk aufsteigende, silhouettenreiche, gesprengte Gie-bel, der einst von einer Imperatorenbüste des Grafen Sinzendorf bekrönt gewesen sein soll.
Mit dieser Büste, die wie auf einem Ehrenplatz stehend alles überragte, endete die szenische Präsentation. Diese Inszenierung war ein Hinweis auf die stolze Zurschau-stellung selbst die Natur beherrschende Macht des Grafen Sinzendorf.
Grotte um 1910 mit Imperatorenbüste des Grafen Sinzensdorf
Damit schloss sich der ikonographische Kreis: Sinzendorf verkörperte auf diesem Platz das Bild des idealen Landesherrn, der als Beherrscher der Elemente Erde und Wasser den Triumph der Kunst über die Natur feierte. Oben auf seinem Ehrenplatz jedoch war Sinzendorf wie der Besucher des Gartens ein staunender Zuschauer des vor ihm liegenden Naturzaubers.
Imperatorenbüsten des Grafen Sinzendorf, Bekrönung von Portal und Grotte, Landkreisgalerie
3D Darstellung
Die breite Leibung der Archivolte ist durch inkrustierte Felder verschwenderisch mit Kieseln, Muscheln und farbigen Schlacken geziert.
Wappenkartusche mit dem österreichischen Doppeladler
Die ovale Wappenkartusche mit dem österreichischen Doppeladler samt der Jahreszahl 1681 ist von Perlmutt glänzenden Muscheln und in farbiger Abstufung mit Schlacken umrahmt. Dieser Dekor wird noch gesteigert durch vier Muschelfelder an den Enden, in die Spiegel eingelassen sind. Von gleicher Machart ist ein (noch nicht restauriertes) Feld mit dem Wappen des Grafen Georg Ludwig von Sinzendorf auf der gegenüberliegenden Seite. Der Innenraum ist überfangen von einer frei-schwebenden Tropfsteinkuppel mit natürlichen Stalaktiten und künstlichen Tuff-steinzapfen.
Ein Gegengewicht zur materialbedingten Unruhe der Tropfsteine bilden die geo-metrischen, rot eingefassten Putzfelder mit hellen Quarzkieseln und die Applikatio-nen aus blauen Schlacken und opalisierenden Muscheln. Die Naturalien, die von ihrer Struktur eigentlich unregelmäßig sind, werden in geometrische Gebilde ge-presst und damit in ihrer ursprünglichen Form verfremdet. Flusskiesel sind nicht in ihrer typischen flachen Form verlegt, sondern hochkant in ein Mörtelputzbett ein-getieft und zu neuen und wunderbar farbigen Ornamenten geformt.
Unzählige Muschelschalen, deren Außenskelett dazu dient, die in ihrem Innern hausende, verletzliche Kreatur zu schützen, haben die Stuckateure zu Blüten mit ihrem charakteristischen Perlmuttschimmer zusammengesetzt.
Form und Tiefe der Muscheln und das sanfte Rosa ihrer Farbgebung erinnern an die weibliche Vulva und verbinden die Muschel mit dem Reiz und Geheimnis des Weib-lichen, aber auch mit Fleischwerdung und Fruchtbarkeit.
Muschelblüte
Spiegel
In geometrischer Anordnung sind in diese schimmernden Muschelfelder zahlreiche runde Spiegel eingelassen, die das einfallende Sonnenlicht reflektieren, verstärken und damit phantastische Effekte erzeugen.
Es ist ein ästhetischer Genuss, die Grotte zu betreten und sie still auf sich wirken zu lassen. Die Felder mit perlmutterweißen Fluss- und Meeresmuscheln schillern beim Wechseln der Blickrichtung in rötlichen und bläulichen Farben wie ein Opal und beschwören den Geruch des Meeres herauf. Die konvex gewölbten Spiegel werfen in alle Richtungen ihre entzückenden Spiegelbilder, über die man sich beim Betrachten köstlich amüsieren kann.
Das Leben spendende Element Wasser ist ein weiteres Leitmotiv der Grotte. Berg und Höhle sind verbunden und stellen die zweifache Herkunft des Wassers als Regen und Quelle dar. So werden in der Grotte die mythischen Ursprünge des Elements Wasser veranschaulicht. Dahinter steht die Vorstellung vom Wasser als Urquell und Spiegel-bild der Welt in ihrer ursprünglichen Form. Der Mittelpunkt der Grotte war daher einstmals eine steinerne Brunnenschale mit einem Eisenaufsatz, wo aus einem Mohrenkopf eine Kugel auf dem Wasserstrahl balanciert wurde.
Hier wurde die Grotte vollends zu einem Ort der Sinnesbetörung. Das Element Wasser präsentierte sich in allen Variationen, wenn die kleine Fontäne aus dem Mohrenkopf eine vergoldete Kugel auf ihrem Strahl tanzen ließ. Funkelnd und glitzernd im Gegenlicht stieg und fiel der Wasserstrahl.
Der Besucher erlebt mit allen Sinnen, wie sich die Farbe des Himmels verstärkt durch die Wirkung der Gewölbespiegel im Wasser reflektierte. Das Brio dieses optischen Feuerwerks wurde noch gesteigert durch die Musik des Wassers. Im schimmernden und plätschernden Wasser der Brunnenschale kulminierte das abwechslungsreiche und raffinierte Spiel von Farbschattierungen, Schattenwurf und Lichtreflexen. Dieses optische und akustische Sinnenerlebnis vermittelte die Illusion eines märchenhaften Raumes.
Die überquellende Fülle der verwendeten Naturmaterialen sollte im Zusammenspiel mit dem Wasser eine eigene, andere Wirklichkeit zwischen natürlicher Kunst und künstlicher Natur imaginieren und den Besucher in wundersame Welten entführen.
Die Callot-Figuren im Paradiesgarten von Schloss Neuburg
Im Sommer 2020
Die Besucher der Neuburg können im Paradiesgarten von Schloss Neuburg acht sog. Callot-Figuren sehen, die auf Postamenten stehen. Es sind zwergenhafte Musikanten und Komödianten männlichen Geschlechts, deren Nachschöpfungen von dem Titt-linger Bildhauer Karl Mader (1926-2004) im Auftrag des Förderkreises Neuburg am Inn e.V. geschaffen wurden, da die originalen Neuburger Callot-Figuren sehr verwittert waren. Sie stammen aus der Zeit des Grafen Johann Jakob von Hamilton (1716), kaiserlicher Kämmerer und Reichsgraf schottischer Abstammung.
Zwei originale Callotfiguren, jetzt Landkreisgalerie
Die Besucher der Neuburg können im Paradiesgarten von Schloss Neuburg acht sog. Callot-Figuren sehen, die auf Postamenten stehen. Es sind zwergenhafte Musikanten und Komödianten männlichen Geschlechts, deren Nachschöpfungen von dem Titt-linger Bildhauer Karl Mader (1926-2004) im Auftrag des Förderkreises Neuburg am Inn e.V. geschaffen wurden, da die originalen Neuburger Callot-Figuren sehr verwittert waren. Sie stammen aus der Zeit des Grafen Johann Jakob von Hamilton (1716), kaiserlicher Kämmerer und Reichsgraf schottischer Abstammung.
Der Kupferstecher Jacques Callot (1592-1635),
Ölgemälde von Anthonis van Dyck; Schloss Caputh
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden in Lustgärten Gartenskulpturen in Zwergengestalt aufgestellt, die auf die Radierfolge der „Gobbi“ des französischen Zeichners und Kupferstechers Jacques Callot (1592-1635) zurückgehen, der im Jahr 1616 am toskanischen Hof des Kunst liebenden Cosimo II. 20 Stiche von zwergen-haften Krüppeln schuf, die als Trinker, Duellanten, Bettler, Musikanten, Dick-bauchige und Bucklige dargestellt sind.
Titelblatt der Folge von kleinformatigen Radierungen von Jaques Callot, 1616
Hundert Jahre später wurden diese Stiche von Bildhauern als Vorlage benutzt, um Skulpturen herzustellen. Es waren aber allein nicht die originalen Stichvorlagen Callots, die die Zwergenmode in der Gartenkunst auslösten, sondern nachempfun-dene Kopien und Interpretationen seiner Figuren, die um 1710 im Stil der neuen Zeit in Augsburg erschienen sind. Die neuen Figuren, die die Komik der Figuren noch mit Tendenzen aus der Narren- und Zeitsatire erweiterten, hatten einen durchschlagen-den Erfolg. Jeder Schlossbesitzer wollte für seine Parkanlagen solche grotesken Figuren besitzen, die man immer Callot-Figuren nannte.
Callots Neueingerichtetes Zwergenkabinett. Faksimilierte Neuausgabe, 1912
In ihnen zeigt sich die Vorliebe des Barocks für die deformierte Natur, die aber beim Betrachter kein peinliches Gefühl vor Missgestaltetem aufkommen lässt. Die wunder-lichen Gesellen sind Ausfluss einseitiger Übertriebenheiten des Charakters. Es werden Narren vorgeführt, die nicht Mitleid erwecken, sondern den Betrachter zum Lachen bringen wollen.
Die Neuburger Callottfiguren wurden von Sebastian Stumpfegger (1670-1749) ge-schaffen, der dem Salzburger Bildhauerkollektiv mit Attavio Mosto, Bernhard Michael Mandl und Hans Schwäbl angehörte. In der Zeit der Aufklärung gerieten diese Callottfiguren aus der Mode. Die von dem Tittlinger Bildhauer Karl Mader nachge-schaffenen Callot Figuren im Paradiesgarten der Neuburg werden von den Besuchern sehr bewundert.