Das Haus des Justizrats Dr. Max Heberle als kulturelles und gesellschaftliches Kommunikationszentrum in Passau

Das Haus des Justizrats Dr. Max Heberle als kulturelles und gesellschaftliches Kommunikationszentrum in Passau

In dem biographischen Lexikon zu Passaus Stadtgeschichte von Franz Mader aus dem Jahr 1995 findet sich auch ein Eintrag zu Dr. Max Alois Heberle (1864­ ­- 1927), Justizrat und Rechtsanwalt, der wegen seines kulturellen Engagements Eingang in dieses verdienstvolle Nachschlagewerk gefunden hat. Neben seinem Beruf war Dr. Max Heberle besonders mit der Kultur, den Künsten und den Künstlern verbunden. Das Haus des Rechtsanwaltes und Kunstmäzens und seiner Frau Irene lag im Zentrum der Stadt an der Gewerbehalle (Ludwigstraße 1), ein Gebäude nach Wiener Vorbild mit Pilastergliederung im ersten Stock (heute Volks-und Raiffeisenbank).

wilfried-hartleb
Das Wohnhaus der Familie Heberle, Gewerbehalle an der Ludwigsstraße, Privatbesitz

Das Haus der Familie Heberle entwickelte sich in diesen Jahren zu einem kulturellen und gesellschaftlichen Mittelpunkt von befreundeten Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten, was durch einen reichen Schatz an Briefen dokumentiert ist. Als Kunstmäzen, Kunstsammler, Vereinsvorstand und Experte in allen Fragen der Kunst und Denkmalpflege war er in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg im gesellschaftlich-kulturellen Leben der Dreiflüssestadt eine herausragende Figur. Für Hans Carossa war Dr. Heberle „ein begeisterungsfähiger Mann, in Kunst und Politik auf alles Neue zugehend(…) Er kannte jedes gewichtige neue Buch.“  Dr. Heberles Vermittlung ist es zuzuschreiben, dass Hans Carossas erste Gedichtpublikation im April 1906 erscheinen konnte. Aber auch Irene Heberle (1878-1949) stand ihrem Mann nicht nach, sie schrieb Gedichte, die Alfred Kubin zweimal illustrierte, und sie verfasste für die Passauer Donauzeitung heimatkundliche Texte. Die frühverstorbene Tochter Irene Brunhilde (1896-1918) war mit dem Dichter Klabund (Alfred Hentschke) verheiratet.  Als Erster Vorsitzender des Passauer Kunstvereins leitete Dr. Heberle im Jahr 1908 die Rettung der zum Abbruch bestimmten Neuburg ein. Nachdem mit der Reform des Gemeindewahlrechts auch auf kommunaler Ebene das Verhältniswahlrecht eingeführt worden war, kandidierte Dr. Max Heberle für die Liberalen bei dieser ersten Gemeindewahl. Er wurde so Mitglied im Gemeindekollegium, dem Bürgermeister Joseph Muggenthaler (1855-1931) vorstand, und blieb es bis 1919. Er war auch Wegbereiter des Museums im Rathaus und wurde dessen erster ehrenamtlicher Direktor.

Für den in 1864 in Langenwang bei Sonthofen geborenen Dr. Max Heberle wurde Passau zur Heimat, nachdem er sich im Jahr 1900 in Passau als Justiziar niedergelassen hatte. Heberle gehörte zu den Persönlichkeiten, die von auswärts kamen und wegen ihres Berufes in Passau ansässig wurden. Sie fanden in den zahlreichen Vereinen schnell Anschluss, ließen sich in die kulturellen Netzwerke einbinden, befruchteten das kulturelle Leben mit eigenen Ideen und übernahmen bald führende Stellungen in der Grenzstadt Passau, die an der Peripherie Bayerns lag. Passau besaß um das Jahr 1900 zahlreiche Bildungseinrichtungen in kirchlicher, kommunaler und staatlicher Trägerschaft. Die Bischofsstadt war sehr stark vom liberalen Beamten- und Bürgertum geprägt. Dazu kamen Vertreter des geistlichen Standes, die sich ebenfalls in dem vielfältigen geselligen, künstlerisch-musischen und gelehrten Vereinswesen einbrachten. Durch Eingemeindung und Zuwanderung war die Bevölkerung stetig im Wachsen begriffen, 1913 waren insgesamt 34 870 Personen polizeilich gemeldet. Das Bevölkerungs-wachstum beförderte den wirtschaftlichen Aufschwung in der Zeit vor 1914 und veränderte das Gesicht der Bischofsstadt, die im südostbayerischen Raum zentralörtliche Funktion hatte.

Max (1864-1927) und Irene Heberle (1878-1949) und ihre Schwester, die Exlibriskünstlerin Mathilde Ade (1877-1953)
wilfried-hartleb
Dr. Max Heberle (1864-1927). Fotokarte. Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, Kubin-Archiv

Der 1864 in Langenwang bei Sonthofen geborene Max Alois Heberle war mit Irene Heberle (1878 – 1949), geb. Ade, verheiratet. Ihre um ein Jahr ältere Schwester war die Exlibriskünstlerin Mathilde Ade (1877 – 1953). Irene und Mathilde Ade stammten aus einem alten Kemptener Geschlecht. Die Eltern von Irene und Mathilde hatten 1875 geheiratet und ließen sich als Gutspächter in Sarbograd in Ungarn nieder, wo auch die Kinder geboren wurden. Doch die Ehe war wegen allzu gegensätzlicher Temperamente nicht vom Glück gesegnet. Spekulationsverluste reduzierten das ansehnliche Vermögen und führten zu Streit und Verbitterung. So kehrte das Ehepaar Ade 1879 mit ihren inzwischen drei Kindern (Mathilde, Irene, Alfred) völlig verarmt nach München zurück und fand beim Großvater, dem pensionierten Gymnasialprofessor Dr. Weishaupt, vorerst Aufnahme. Der Vater bekam zeitweise in München und Höchst Anstellungen, bis er als Bürobeamter nach Budapest ging. Die Mutter, 35 Jahre jung, Klavier spielend und kunstsinnig, wollte ihrem Ehemann nicht folgen, und es erfolgte die freiwillige Trennung.

Während einer Sommerfrische in Kempten lernte sie 1884 den 20- jährigen Studenten Max Heberle kennen, der in München studierte und in der Nähe wohnte. Max Heberle war oft zu Gast im Hause der Mutter Ade mit ihren drei Kindern, bis er schließlich zur Untermiete einzog. Es war eine spannungsgeladene Situation, die sich den Kindern beim Anblick ihrer klavierspielenden Mutter mit dem jungen, sangeskundigen Rechtspraktikanten Max Heberle bot, in dem sie bald den väterlichen Stellvertreter erkannten. Nach außen hin und gegenüber den Großeltern, auf deren Darlehenszuweisungen man angewiesen war, hieß es, dass Herr Heberle später die ältere Tochter Mathilde heiraten sollte. Doch es kam anders. Denn es war „die um ein Jahr jüngere Schwester Irene, die mit fröhlichem Leichtsinn, Verliebtheit und wohl auch spekulativer Berechnung…mit äußerer Nettigkeit und munterem Wesen das Herz des  Hausfreundes zu fesseln gewußt. So daß es an ihrem 14jährigem Konfirmationstag zur Verlobung und nach ihrem 17. Geburtstag, trotz vorheriger heftiger Verwünschungsszenen von Seiten meiner Mutter, schließlich zur Vermählung kam, die eine äußerlich und innerlich harmonische Ehe einleitete,“ so berichtet Mathilde Ade. Mathilde war über den Ausgang des seltsamen Familiendramas nicht betrübt und gönnte ihrer Schwester Irene neidlos das Eheglück. Für Mathilde Ade, die zum anderen Geschlecht ein reserviertes Verhältnis hatte, war die Nichtverehelichung keine Existenzfrage, denn sie wollte als Künstlerin unabhängig und selbstständig sein. Welche Bedeutung Mathilde Ade in Kunstwelt hatte, zeigt eine Würdigung in der Donauzeitung vom Oktober 1927 anlässlich ihres 50. Geburtstages. Dort wird sie als „feinsinnige Lyrikerin, als Meisterin der Zeichenkunst und markante Erscheinung“ beschrieben, bei der zahlreiche angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Buchzeichen bestellen. Auch als Mitarbeiterin der Meggendorfer Blätter und anderer Zeitschriften hatte sie sich einen Namen gemacht.

Für ihren Schwager und seiner Frau Irene hat Mathilde Ade zahlreiche Exlibris für deren Büchersammlung entworfen. Dies sind in Bücher eingeklebte kunstvoll gestaltete Besitzvermerke in Zettelform, die zur namentlichen Kennzeichnung des Eigentümers dienen.

wilfried-hartleb
Mathilde Ade, Selbstbildnis als Zeichnerin, Aquarell, um 1900, Privatbesitz
wilfried-hartleb
Mathilde Ade, Exlibiris des Rechtsanwaltes Dr. Max Heberle, Der Anwalt wäscht vor dem Femegericht einen Raben weiß. Farblithographie, 1903, Privatbesitz
wilfried-hartleb
Mathilde Ade, Exlibiris aus der Bibliothek von Dr. Max Heberle, Sitzende traurige Justitia und fauchender Löwe. „Einem jedem Recht zu thon, wird niemand unterstohn. Privatbesitz
wilfried-hartleb
Mathilde Ade, Exlibiris für Irene Heberle, Privatbesitz
wilfried-hartleb
Mathilde Ade, Exlibiris für Irene Heberle, Mutter und ihre Tochter öffnen ein Buch, Privatbesitz
Tochter Brunhilde Heberle (1896-1918) und der Schriftsteller Klabund (Alfred Henschke, 1890-1928)

Dem Ehepaar Dr. Max und Irene Heberle wurde im Jahr 1896 die Tochter Brunhilde geboren, die schon in frühester Jugend an Lungentuberkulose litt, weshalb immer wieder Kuren in Sanatorien nötig waren.  1916 lernte die zwanzigjährige Brunhilde in einem Lungensanatorium in Davos den Schriftsteller Klabund kennen, wo beide wegen ihrer Tuberkulosekrankheit zur Kur waren.

wilfried-hartleb
Irene Brunhilde Heberle und Klabund im Sanatorium in Davos, Akademie der Künste, Berlin, Archiv
wilfried-hartleb
Brunhilde Heberle, Akademie der Künste Berlin, Archiv

Am 8. Juni 1918 heiratete sie in Locarno Klabund, der mit bürgerlichen Namen Alfred Henschke (1890- 1928) hieß. Der Heiratsgrund war wohl die Schwangerschaft seiner Frau. Hochgestimmt hat Klabund die Dreiflüssestadt im letzten seiner vier „Passauer Distichen“ zum Symbol für diese Hoffnungszeit gemacht: „Wo der ‚Flüsse drei sich ineinander ergiessen,/standen wir liebend gelehnt, sahn in die jagende Flut./ Drei ward eins. Ich fasste fester die Hand dir und dachte:/ Du und ich – und das Kind. Also dreieinig auch wir.“  Von Anfang an entwickelte sich zwischen Klabund und seinen Schwiegereltern Max und Irene Heberle in Passau ein reger Briefwechsel, der in den Archiv-Blättern der Berliner Akademie der Künste veröffentlicht wurde. Die Berliner Akademie verfügt nicht nur über Briefe Klabunds an seine Frau. Weit umfangreicher ist der Bestand der Korrespondenz mit seinen Schwiegereltern, denen er herzlich zugetan war und die er in seinen Briefen mit „Vater“ und „Mutter“ und „Liebe Eltern“ anredete. Aus diesen Briefen kann man auch das Schicksal der lungenkranken Tochter Brunhilde nachverfolgen. Für Klabund ist sie die große Liebe, und er gab ihr den Kosenamen „Irene“, die Friedliche, denn die Liebe zu der schönen, musikalischen und tierliebenden Frau läuterte den Kriegsanhänger zum Pazifisten. Voller Liebesglück schrieb er im Mai 1917 einen offenen Brief Kaiser Wilhelm II, in dem er sich zum radikalen Pazifismus bekannte. In Locarno begegnete ihnen Herrmann Hesse, Else Lasker-Schüler und Franziska von Reventlow, die Schwabing verlassen hatte und nun im Aussteiger-Paradies Monte Verita gelandet war. Sie nahmen auch an ihrem Begräbnis Ende Juli 1918 teil: „Vor einigen Tagen haben wir in einfachster und schlichtester Weise Frau Reventlow begraben, nachdem sie 3 Tage vorher noch einen Abend mit uns plauderte.“

Trotz ihres bedrohlichen Krankheitsverlaufes (Kehlkopftuberkulose) und ärztlicher Bedenken wünschte sich Brunhilde ein Kind, das am 17. Oktober 1918 zwei Monate zu früh durch eine Notoperation geboren wurde.  Schon am 30. Oktober 1918 starb Brunhilde Heberle im Alter von nur 23 Jahren. Der Mutter folgte am 19. Februar 1919 auch das Siebenmonatskind Irene Fiete Anny in den Tod. In zahlreichen langen Briefen an seine Schwiegereltern in Passau und in dreißig Sonetten unter dem Titel „Totenklage“ schrieb sich der Trauernde Klabund seinen Schmerz über den Tod seiner Frau und seines Kindes von der Seele.

wilfried-hartleb
Klabund: Die Sonette auf Irene, Berlin 1920, Privatbesitz

Diese schrecklichen Ereignisse ließen die Beziehungen zu seinen Passsauer Schwiegereltern noch enger werden, wovon die intensive Korrespondenz zwischen Klabund mit Max und Irene Heberle bis zu Klabunds Tod Zeugnis gibt.

wilfried-hartleb
Prosit Neujahr, liebe Eltern! Alles Gute!
Neujahresgruß von Klabund an Irene und Max Heberle geschrieben in Davos, 31. Dezember 1923, Akademie der Künste Berlin, KSW 688

Durch den zahlreichen Briefwechsel erfährt man auch von Klabunds neuen Liebe, der gefeierten Schauspielerin Carola Neher (1900-1942), die er am 7. Mai 1925 heiratete.

wilfried-hartleb
Klabund und Carola Neher, um 1924, Foto Eberth, Akademie der Künste, Berlin

Die Ehe sollte nur drei Jahre dauern, da Klabund am 14.August 1928 an seinem Lungenleiden starb.

wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
Carola Neher-Klabunds Traueranzeige für ihren Ehemann Klabund an das Ehepaar Heberle, Akademie der Künste Berlin
wilfried-hartleb
Die Schauspielerin Carola Neher, Akademie der Künste, Berlin, Archiv

Als Interpretin großer Rollen in legendären Inszenierungen der Dramen Klabunds, Brechts und Horvaths hatte sich Carola Neher an die Spitze des Weimarer Theaterlebens emporgearbeitet. Carola Neher, die nach Klabunds Tod im Jahr 1928 eine engere Beziehung zu den Komponisten Hermann Scherchen (1891-1966) hatte, geriet in den Bann des Kommunisten Anatol Becker , den sie nach der Trennung von Scherchen in Berlin heiratete. Carola Neher gehörte zu den Anhängen von Berthold Brecht, die aus NS-Deutschland in die Sowjetunion emigrierten. 1936 wurde sie in Moskau verhaftet und verstarb am 26.6. 1942 im Lager Sol-Iletzk.

Gründung des zweiten Passauer Kunstvereins (1905 – 1930)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in Passau eine Aufbruchstimmung, die durch engagierte Persönlichkeiten angefacht wurde, die auf kulturellem und gesellschaftlichem Gebiet in den Vereinen führende Stellungen innehatten. Die Neugründung des Kunstvereins am 2. November 1905 durch Dr. Max Heberle zusammen mit dem Architekten Julius Kempf (1870 – 1957), Direktor der neu gegründeten Baugewerbeschule, brachte wichtige Impulse für das Passauer Kulturleben bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Es war der zweite Versuch, in Passau einen Kunstverein im Passauer Kulturleben zu etablieren, nachdem der 1851 von dem Arzt und Geschichtsforscher Dr. Alexander Erhard (1801 – 1874) aus der Taufe gehobene Verein 1887 wieder aufgelöst worden war. Im Kunstverein war das gebildete Bürgertum organisiert. Die Gründungversammlung mit 66 anwesenden Männern wählte den Initiator Dr. Max Heberle zum 1. Vorstand und den Städtischen Rechtsrat Martin Seitz (1866-1911) zum zweiten Vorstand. Kassier wurde der Bankier Gotthilf Leuze (1843-1905). Die Vorstandschaft ging sofort nach der Gründung daran, ein interessantes Programm mit Vorträgen und Ausstellungen auf die Beine zu stellen. Diese Aktivitäten sprachen ein breites Publikum an, die guten Anklang fanden, so dass die Mitgliederzahl bald auf über 100 stieg.

Starke Impulse gab der Architekt Karl Kieffer (1883 – 1953) dem Kunstverein, der seit 1905 bis 1930 als Schriftführer und Geschäftsführer fungierte. Weil sich der Verein neben der Vortrags- und Ausstellungstätigkeit besonders auch die Erhaltung von Kunstdenkmälern in der Stadt Passau und in der Region zum Ziel setzte, nannte er sich ab 1916 „Passauer Kunst- und Geschichtsverein.“  In Passau setzte sich der Verein für die Erhaltung des Rathausportals und für die Errichtung des „Stadtbild-schonenden“ Innsteges ein. Auch war es ein Anliegen des Vereins, die Flächen rund um den im Jahre 1906 errichteten Wittelsbacher Brunnen besser zu gestalten, der eine Huldigung der Passauer Bürgerschaft an die Wittelsbacher Dynastie darstellte. 1924 verhinderte der massive Protest des Kunstvereins den Abriss der ganzen Häuserzeile an der Höllgasse für die Erweiterung des Donauhafens.

wilfried-hartleb

Dr. Max Heberle ging es auch um die Verbesserung in der Außendarstellung der Stadt Passau, wozu auch der Fremdenverkehr gehörte. Dazu suchte er die Kooperation mit den anderen Passauer Vereinen, dem Verschönungsverein und dem Waldverein, was ihm auch in seiner kommunikativen Art gelang. Der Kaufmann und Kommerzienrat Georg Weinholzer (1861-1938) war im Jahre 1906 Vorsitzender des Verschönerungsvereines geworden, dazu auch noch Verwalter des Stadtparks und führendes Mitglied im Fremdenverkehrsverein. Mit dem königlichen Forstrat Albert Gampert (1847-1917), der 1907 den Vorsitz der Sektion Passau des Waldvereins übernommen hatte, hatte die Stadt Passau eine weitere überragende auf dem kulturellen Gebiet tätige Persönlichkeit. So konnte das Museum auf Oberhaus (Observationsturm) am 21. Juni 1908 als Bayerwald-Museum in neuer Form die Tore öffnen. Zu den Initiativen Heberles, das Bild Passaus auch marketingmäßig nach Aussen zu tragen, gehörte auch die Gestaltung eines Werbeplakates für die Stadt Passau. Dr. Max Heberle trat mit dem Passauer Hofphotographen Alphons Adolph (1853-1968) in Verhandlungen ein, der am Kl. Exerzierplatz einen Ansichtskartenverlag hatte und als Erfinder der fotographischen Ansichtskarte gilt. 1000 Mark wurden für dieses Projekt angesetzt. Die künstlerische Gestaltung übernahm Hans Treiber (1869-1968) aus München, der einer der bekanntesten bayerischen Maler von Ansichtskarten war. 1911 war das Plakat fertig und konnte verschickt werden.

Eine weitere Möglichkeit, die Dr. Max Heberle initiierte, um die Stadt Passau nach außen hin mit einem besonderen Erkennungszeichen darzustellen, war der Auftritt der Goldhaubenfrauen auf dem Jubliläums-Oktoberfestzug in München im Jahre 1910. Die Goldhaube hat in Passau seit dem 19. Jahrhundert eine ganz besondere Bedeutung. Sie ist das Wahrzeichen und besonderes Erkennungszeichen der weiblichen, bürgerlichen Tracht. Das Stadtarchiv Passau besitzt eine Fotografie aus dem Jahre 1910 mit Max und Irene Heberle, die beide die Gruppe anführen, und anderen Persönlichkeiten. Die Frauen repräsentieren die Stadt mit der Passauer Goldhaube und dem bodenlangen Festtagskleid. Auch bei der Einweihung des Wittelsbacher Brunnens im Jahr 1906 hat diese prachtvolle Kopftracht diesem Fest besonderen Festtagsglanz verliehen.

wilfried-hartleb
Jubiläums-Oktoberfestzug in München 1910. Paare von links: Marianne Muggenthaler u. Architekt Karl Kieffer, Irma Lenk und Dr. Gatterbauer, Marianne Schuller und Medizinalpraktikant Dr. Schneider, Bezirksoberlehrer Leidl mit Frau, Baugewerkschuldirektor Kempf mit Frau, Justizrat Dr. Max Heberle mit Frau (Stadtarchiv Passau).
Dr. Max Heberle – Initiator zur Rettung der Neuburg
wilfried-hartleb
Gedenktafel für Dr. Max Heberle im Torturm der Neuburg

Eine große Leistung vollbrachte der Kunstverein unter der Leitung von Dr. Max Heberle mit der Rettung der Neuburg. Im Frühjahr des Jahres 1908 wollten die Besitzer der Neuburg, Johann und Franziska Roas, die dort bislang eine Brauerei betrieben hatten, die Neuburg gänzlich abreißen lassen, denn der Bauunterhalt war ihnen zu kostspielig geworden. Roas hatte die Neuburg öffentlich „auf Abbruch“ ausschreiben lassen, denn die Neuburg sollte als Steinbruch verwendet werden. In helle Aufregung versetzt rief Dr. Max Heberle die Vorstandsmitglieder des Passauer Kunstvereins und des Bayerwaldvereins zusammen. Man kam zu dem Entschluss, mit einem Aufruf auf dieses Schreckensszenario aufmerksam zu machen. Kunstverein und der Verein Bayerwald e.V. unterzeichneten gemeinsam dieses in aufrüttelnden Worten geschriebene Flugblatt.

wilfried-hartleb
Ruine der Neuburg im Jahr 1870, Nach einer Zeichnung von Adalbert Müller (1821-1879)
wilfried-hartleb
Aufruf des Passauer Kunstvereins und des Vereins Bayerwald zur Rettung der Neuburg 1908

„Schloß Neuburg am Inn, der uralte Stammsitz eines mächtigen Grafengeschlechtes, einst auch im Besitze der Wittelsbacher, der Habsburger und der letzten Bischöfe von Passau, 1803 säkularisiert, wird nach tausendjährigem Bestande wegen teilweiser Baufälligkeit vom jetzigen Eigentümer niedergerissen, wenn sich nicht der Staat um seine Erhaltung annimmt.

Wer bedenkt, daß ein solches Monumentalwerk mit unvergleichlich schöner landschaftlicher Lage in unserer Zeit des Heimatschutzes, der Erhaltung geschichtlicher Denkmale und der Naturpflege für alle Zeit verschwinden soll, ohne daß die rettende Hand des Staates sich rührt, dem muß das Herz bluten! Es ist Gefahr auf Verzug!

Möge Jedermann, der noch Empfindung für geschichtliche Kultur und landschaftliche Schönheit hat, tun, was in seinen Kräften steht, um diese barbarische Zerstörung aufzuhalten – das sind wir unserer Nachwelt schuldig.“

Der Passauer Kunstverein

Der Verein Bayerwald.“

Das Flugblatt erregte auch die Aufmerksamkeit des in München ansässigen 1902 gegründeten Bayerischen Vereins für Volkskunde und Volkskunst in München, der sich entschloss, Initiativen zu unternehmen, das gefährdete Denkmal zu retten. Und so wurde durch die Initiative von Dr. Max Heberle die Rettung der Neuburg zu einem der ersten und wichtigsten Projekte der sich mächtig entwickelnden bayerischen Heimatschutzbewegung. Die Verbindungen zu dem Münchener Verein liefen über einen guten Freund der Familie Heberle, den gebürtigen Passauer Hermann Stockmann (1867- 1938), der sich als Maler und Illustrator in der Malerkolonie Dachau niedergelassen hatte. Das Haus der Familie Heberle hatte sich nämlich zu einem Treffpunkt entwickelt, wo die Initiativen zur Rettung der Neuburg kommuniziert wurden. Stockmann, der als begeisterter Heimatkundler altes bayerisches Brauchtum wie das Dreikönigssingen und das Krippenspiel wiederbelebte und große Festzüge organisierte, war Mitarbeiter des Bayerischen Vereins für Volkskunst und Volkskunde.  Als München der Entschluss gefasst wurde, die Neuburg nach der Restaurierung zu einem „Erholungsheim für unterstützungswürdige Künstler und Künstlerinnen“ werden zu lassen und zu diesem Zweck Kunstwerke für eine Lotterie zu sammeln, steuerte auch Stockmann ein Werk bei. Auch Alfred Kubin (1877 – 1959), einer der besten Freunde der Familie Heberle, stellte ein Aquarell mit dem Titel „Fantasiebild“ für die Versteigerung zur Verfügung.

wilfried-hartleb
Auktionskatalog zur Versteigerung am 27. Mäz 1911 mit Werken von Stockmann und Kubin

Als Jurist begleitete Dr. Max Heberle die Verkaufsverhandlungen zwischen den Eigentümern der Neuburg, Hans und Franziska Roas, und dem Bayerischen Verein für Volkskunst und Volkskunde, die am 15. Juli 1908 in den endgültigen Kaufvertrag mündeten.

Zu einer ganz wichtigen Persönlichkeit im Passauer Kunstverein entwickelte sich Dr. Max Heberles Freund der Architekt Karl Kieffer (1883-1953), der Schriftführer war und die Vereinsgeschäfte führte.

wilfried-hartleb
Sterbebild und Traueranzeige von Karl Kieffer

Kieffer wurde vom Landesverein für Heimatschutz beauftragt, die Pläne für die Restaurierung anzufertigen. Die von ihm erstellten Baupläne dokumentieren einen verantwortungsvollen Umgang mit der historischen Bausubstanz im Sinne des Denkmalschutzes. Die Leitsätze und Stilfragen für die Bauplanung hat Karl Kieffer 1925 in der Zeitschrift „Bauwelt“ mit Plänen dokumentiert.

wilfried-hartleb
Handgezeichneter Aufrissplan des Architekten Karl Kieffer vor der Renovierung, 1908
wilfried-hartleb
Abbildung aus der Bauwelt Heft 9/ 1925
wilfried-hartleb
Abbildung aus der Bauwelt Heft 9/ 1925

Während Karl Kieffer schon die ersten Pläne für das „Künstlererholungsheim“ erstellte, begleitete Dr. Max Heberle die beginnenden baulichen Maßnahmen mit einer Pressekampagne, um Werbung für das Vorhaben zu machen.

wilfried-hartleb

In der Zeitschrift „Der Bayerische Wald“ und in der Vereinszeitschrift „Volkskunst und Volkskunde“ begründete Dr. Max Heberle  in großen geschichtlichen Abhandlungen die Notwendigkeit der Rettung der Neuburg. Voller Euphorie wirbt er dafür, die Neuburg den Künstlern als Heimstatt zur Verfügung zu stellen und als Künstlererholungsheim wiederauferstehen zu lassen. „Und welche Kreise wären hierzu befähigter als die Künstler, die unser armes Leben durch ihren Gottesfunken über die brutale Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit erheben, die uns zeigen, daß nicht der reelle Wert des Stoffes das ist, was uns beglückt, sondern Form und Seele, die ihm die gestaltende Kraft des Künstlers eingehaucht? Die Künstlerschaft wird es verstehen, in dem stillen Burghof, wo jetzt nur die Linden säuseln und das Unkraut wuchert, in der verödeten Türnitz die Erinnerung an vergangene glänzende Tage wieder aufleben zu lassen, die trauernden Mauern wieder zu erhellen mit der Sonne ihres Humors und ihrer Schaffensfreudigkeit. Helfen wir also alle zusammen zu dem großen Werke, zu einem volkstümlichen Werke der Denkmalpflege, wie bisher keines geschaffen worden ist! Aber was wir anstreben, wäre auch eine herrliche Tat sozialer Fürsorge, ein Volkstribut für die Künstlerschaft, in dem die altangestammte Kunstfreudigkeit unseres Vaterlandes monumental zum Ausdruck käme.“

Auch nach der Eröffnung des Künstlererholungsheimes, die im  Jahr 1922 erfolgte, haben Max und Irene Heberle in den Niederbayerischen Heimatglocken geschichtliche Beiträge über die Neuburg veröffentlicht.

wilfried-hartleb
Artikel von Irene Heberle in den Heimatglocken 1927

Im Märzheft der Niederbayerischen Heimatglocken 1927 erwähnt Irene Heberle, dass damals der Passauer Kunstverein 3000 Mark gespendet hat, eine Summe die durch ein glänzendes Künstlerfest im Schmeroldkeller zusammengekommen ist. Sie ließ auch nicht unerwähnt, dass sich auch die Stadt Passau mit 3.000 Mark beteiligte.

wilfried-hartleb
Gedenktafel für Dr. Max Heberle im Torturm der Neuburg, 1924

Als bleibendes Zeugnis seines Einsatzes für die Neuburg ist die Erinnerungstafel für Dr. Max Heberle im Torturm der Vorburg zu sehen.

Neben der Gedenktafel im Torturm der Hauptburg erinnert der den Schlosshof schmückende Brunnen gegenüber der Landkreisgalerie der Neuburg an Dr. Max Heberle. Er hat diesen Brunnen 1911 der Neuburg zum Geschenk gemacht.

wilfried-hartleb
Brunnen in der Hauptburg, gestiftet von Dr. Max Heberle

Beim Besuch von König Ludwig III. (1845-1921) mit fünf von seinen Töchtern, Adelgunde (1870-1958), Hildegard (1881-1948), Helmtrud (1886-1977), Wiltrud (1884-1975) und Gundelinde (1891-1983), auf der Neuburg am 18. Juni 1914 war auch Dr. Max Heberle als Vertreter des Passauer Kunstvereins eingeladen. was aus nebenstehenden Verzeichnis hervorgeht. Dieser Tag war von Professor Hermann Stockmann minutiös inszeniert worden.

wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
Gedenktafel für König Ludwig III (1845-1921, reg, 1912-1918), von Ferdinand von Miller (1875-1929), zur Erinnerung an seinen Besuch auf Schloss Neuburg am 14. Juni 1914

Der Schriftsteller Franz Schrönghamer-Heimdal (1881-1962), der 1912 unterhalb der Neuburg ein Haus bezogen hatte und einige Jahre dort lebte, hat diesen Königstag auf der Neuburg miterlebt und voller Begeisterung beschrieben. Schrönghamer würdigt in diesem Artikel besonders auch Dr. Max Heberle als Initiator der Rettung der Neuburg. „… Und Königsdank ist der Lohn der Selbstlosen. Und Künstlerdank; denn die neue Neuburg gehört den Künstlern, sie ist die Stätte für die Schönheitschaffenden. Und wo Künstler sind, kommt auch der König gern. Zu früher Stunde – 9 Uhr morgens – schon schmettern die Trompeten hinaus in den lichtnebeligen Sommertag. Vier Trompetersergeanten von den Straubinger Chevaulegers jubeln eine Tagweise, dem König zum Gruße, der mit Prinzessinnentöchtern … und Gefolge von Passau her im Kraftwagen angefahren kommt. Kanonen dröhnen vom Burghofe her in den Jubel des Landvolks, das in Scharen herbeieilte, den König zu grüßen und den Landesvater zu schauen.“

In seiner Abschiedsrede sprach der König davon, dass er nun ins Rottal fahren werde, wo „ein biederes Bauernvolk mit Roß und Rind“ auf ihn warte und dass es „kein Zufall (ist), daß gerade dort, im Land der Weizenbauern und Roßzüchter, die Wiege eines unserer Größten stand – unseres Franz von Stuck, des Müllersbuben von Tettenweis.“

Nach dem Besuch des Königs sollte die Neuburg ihrem Bestimmungszweck als „Prinzregent Luitpold Künstlererholungsheim“ baldmöglichst zugeführt werden. Der Erste Weltkrieg, der einige Wochen nach dem Königstag auf der Neuburg seinen Anfang nahm, verzögerte jedoch dieses Vorhaben.

1918, im letzten Kriegsjahr, wurde eine bemerkenswerte Gedenktafel in der Durchfahrt der Bastei zur Hauptburg angebracht, die auch die Leistung Passauer Kunstfreunde (Passauer Kunstverein) würdigt.

wilfried-hartleb
„Veste Neuburg a.I. wurde mit hochherziger Unterstützung Seiner Königlichlichen Hoheit des Prinzregenten Luitpold von Bayern zu Nutz und Frommen der Nachwelt durch den bayerischen Verein für Volkskunst und Volkskunde in München auf Anregung Passauer Kunstfreunde am 9. Juli 1908 erworben. Der Fürsorge Seiner Excellenz des königl. Staatsrates Dr. von Kahr und kunstfreudigen Spendern sind die Mittel zur Instandsetzung und Erweiterung des Besitzes zu verdanken. Ministerialrat Dr. Groeschel leitete als Architekt die gesamten Arbeiten. AD 1918 dem vierten Jahre des Weltkrieges vollendet diene dieses Werk der Denkmalpflege Aufgaben des Friedens.
wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
Mathilde Ade: für die Bibliothek des Künstlererholungsheimes
Freundschaft zu Alfred Kubin

Das Haus Heberle am Ludwigsplatz hatte sich zu einem gastlichen Mittelpunkt der Passauer Kulturszene entwickelt, schließlich kannte das Ehepaar Heberle viele regionale und überregionale Kulturschaffende.  Die vielen freundschaftlichen Beziehungen zu Künstlern und Schriftstellern zeigen sich auch in unzähligen Briefen. Der Kulturwissenschaftler Dr. Helmut Wagner, Kulturpreisträger des Landkreises Passau auf wissenschaftlichem Gebiet, hat 1999 im Programmheft des Passauer Kunstvereins auf die intensiven Beziehungen der Familie Heberle zu Alfred Kubin und anderen Künstlern hingewiesen. 2006 wurde dieses Thema fortgeführt in der Ausstellung: „Berührungen. Hommage a Alfred Kubin. Kaleidoskop einer Kulturlandschaft“ in der Landkreisgalerie auf Schloss Neuburg. Im Ausstellungskatalog hat Dr. Wagner die herzliche Freundschaft mit der Familie Heberle zu Kubin beschrieben, die in häufigen Besuchen und einem intensiven Briefwechsel ihren Ausdruck fand. Das Eingewobensein in das Passauer Kulturleben in den 1920iger Jahren verdankte Kubin vor allem der Familie Heberle: „ Ich nehme Eure Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft ja sooft und immer wieder in Anspruch – dass ja jeder Besuch einer Bescherung gleichkommt,“ so schreibt Kubin 1925 an Irene Heberle.

wilfried-hartleb
Alfred Kubin, Index und Valuta, Feder in Tusche auf Papier, Eberhard Spangenberg,
„Was haben unsre feinen Rechner denn getan? / Was stellt es dar dies kleine Werk hier, meiner Hände?/ Herr Index passt sich einfach Frau Valuten an / und alle Nöte finden rasch ihr selig Ende - ! Dem Hause Heberle herzlich / und in Dankbarkeit zugeeignet / Zwickledt Weihnacht 1922/ Alfred Kubin.

Am Allerseelentag kondolierte Kubin Hax Heberle zum Tod der Tochter: „Mein verehrter und lieber Freund: In dem wunderbaren Zustand seit Kurzem, in welchem ich hier jetzt lebe überkam mich plötzlich der Gedanke an Ihr Töchterchen – zwei Minuten darauf brachte man mir Ihre Depesche. In den Worten mit welchen Sie mir die Nachricht übermitteln erkenne ich wohl den hohen Schmerz aber auch die rätselvolle Mischung von Weichheit und Kraft welche Sie lieber Freund so auszeichnet! Ich fühle unaussprechlich mit Ihnen! Soweit ich Brunhild kannte fühlte ich wie sie es gar wohl wußte, daß ihre märchenhafte Lieblichkeit und das Bestimmte ihres Wesens mich sehr innig berührte und anzog. Und ihren letzten Brief – er zeigt sie ganz auf der Höhe ihres Glückes (1.8.) – werde ich Ihnen bei meinem baldigen Kommen zeigen – ; eine kleine Reliquie ist´s ja nun. …“ Irene Heberle dankte ihm dafür in einem Brief vom 17. November 1918: „…heute ist mein Enkelkindlein 1 Monat alt geworden, vor einigen Tag ward ich 40 Jahre. Wie war ich vergangenen Sommer noch so jung, nun bin ich ganz alt geworden.“ Doch starb das Mädchen am 7. Februar 1919.

wilfried-hartleb
Mein Kind, Passau 1918, Titelzeichnung von Mathilde Ade, Prinzessin auf Gedichtband stehend, Froschkönig auf Schnecke reitend, mit Blumenstrauß
wilfried-hartleb
Echo – Kleine Lieder von Irene Heberle, Deckelillustration von Alfred Kubin, Berlin 1921

Seit dem Tod des Kindes bestand zwischen Kubin mit Irene Heberle eine besondere emotionale Beziehung.  So gestaltete Kubin die Deckelzeichnung ihrer Publikation „Echo – Kleine Lieder“ (1921), die an „Die kleinen Verse für Irene „(1918) von Klabund erinnern. Kubin schickte als immer wieder seine Publikationen als Ausdruck ihrer künstlerisch-literarischen Verbundenheit an das Ehepaar Heberle. Für Irene Heberles Gedicht „Der Straubinger Bote“ (1926), das in den Heimatglocken der Donauzeitung veröffentlicht wurde, schuf Kubin die Illustration. 1923 hat Irene Heberle in einem längeren Aufsatz in der Monatsschrift für die Ostbairischen Grenzmarken Alfred Kubin porträtiert, der Kubin so „großartig wie glänzend“ erschien und ihm durch seine „leise Intimität“ besonders gut gefiel. Eine Variante des Aufsatzes erschien am 10. Januar 1926 in der Passauer Donauzeitung.

wilfried-hartleb
Der Straubinger Bote, in: Niederbayerische Heimatglocken, Beilage der „Donauzeitung“, Nr. 1, 1926, Illustration Alfred Kubin

1991 hat das Antiquariat Hans Hammerstein einen Katalog mit Autographen der Familie Heberle herausgegeben, die bestätigen, wie intensiv die Freundschaft zwischen Kubin und der Familie Heberle war und wie diese durch Besuche und einer lebhaften Korrespondenz gepflegt wurde.

wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
wilfried-hartleb
wilfried-hartleb

Der Literaturhistoriker Dr. Dirk Heißerer hat im Vorwort dieses Katalogs darauf hingewiesen, dass die zahllosen Briefe einen Blick auf die besondere Freundschaft der Familie Heberle mit Alfred Kubin werfen. Sie zeigen auch, wie über das Ehepaar Heberle Bekanntschaften mit anderen Künstler angebahnt wurden. So lernte Kubin im Jahr 1922 den Maler Reinhold Koeppel in Waldhäuser kennen, dessen Bekanntschaft Dr. Heberle schon vor dem 1. Weltkrieg gemacht hatte. Daraus ist eine lebenslange Freundschaft des Ehepaares Hedwig und Alfred Kubin mit dem Ehepaar Hanne und Reinhold Koeppel.  Der gemeinsame Freund des Ehepaares Heberle und Kubin war Hans Carossa. Dessen zweite Frau Hedwig Kerber (1895-1956), eine Freundin von Paula Deppe, war eine Schulfreundin der frühverstorbenen Tochter Brunhilde Heberle. In einem Brief an Hedwig Kerber über Paula Deppe schrieb Irene Heberle 1920: „ In München habe ich mich ganz besonders über d. Donaubild v. Paula Deppe gefreut, das eine eigene Behandlung fühlen lässt. Wert und Würde des Bildes u. somit auch der Künstlerin geben mir einen ganz starken Eindruck.“

wilfried-hartleb
Alfred Kubin: Masken, 12 Lithographien signiert mit eigenhändiger Original-Zeichnung. Kubin überreicht dem Freund einen Lorbeerkranz. Widmung: Dr. Max Heberle zum 60. Geburtstag übereicht! Alfred Kubin“ (Ketterer Kunst)

Als Kubin in Zwickledt seinen 50. Geburtstag in Zwickledt feiert, weilt das Ehepaar Heberle in Karlsbad auf Kur. Für die brieflichen Glückwünsche aus Karlsbad bedankt sich Kubin aufs Herzlichste und berichtet von seinen Geburtstagsfeierlichkeiten: „Hier stehen wir mitten im größten Geburtstagrummel…Zeitungen und Briefe, zieht wie eine große Wolke über Zwickledt heran. Mitten in die Feierlichkeiten zu Kubins 50. Geburtstag hinein erreicht ihn die Depesche von Hedwig Heberle, dass ihr Mann am 12. Mai 1927 unerwartet in Karlsbad verstorben ist, dem Kubin noch zuvor brieflich Genesung und gute Besserung gewünscht hatte.  Auf den Tod Dr. Max Heberles, der in Karlsbad eingeäschert wird, antwortet Kubin in zwei Briefen: „Geben Sie sich keinem Verzagen hin – was uns nicht umbringt macht uns stärker, sagt Nietzsche in seiner Kriegsschule des Lebens…“

Irene Heberle war nun nach dem Tode ihres Mannes eine begüterte Witwe, da die Heberles Grundbesitz über die Inflation retten konnten. Sie ordnete geschickt und geschäftsmäßig den Nachlass und erwarb ein geräumiges Doppelhaus mit großem Garten in Dachau. Ihre Schwester Mathilde Ade hoffte, bei ihrer Schwester in ihrem Haus unterzukommen, doch Irene hatte schnell einen jugendlichen Liebhaber gefunden und ließ dies nicht zu. So wohnte Mathilde als Untermieterin in einem Nachbaranwesen. 1932 kaufte sie sich mit dem Geld von ihrer Mutter für 1000 Mark ein Grundstück in Dachau mit etwa 250 qm. Um ihre Einnahmen zu verbessern verlegte sich auf das Schreiben von Gedichten, Artikeln und Glossen für Zeitungen. Während des 2. Weltkrieges zeichnete sie Kriegspostkarten und macht Kriegs – Exlibris. Endlich konnte sie sich kleinweis ein eigenes selbsterbautes Holzhaus leisten.

Auch wenn Irene Heberle nun in Dachau wohnte, blieb der briefliche Kontakt zu Kubin auch in den folgenden Jahren bestehen.  Einige Briefe an Irenes Heberles neue Adresse in Dachau hat das Antiquariat Hammerstein veröffentlicht. Es sind Antwortbriefe Kubins auf die Glückwünsche zu seinem 55. Geburtstag im Jahr 1932, in denen Kubin auch ausführlich über seine Arbeit aber auch über Hans Carossa berichtet: „Von Carossa halte ich viel, obwohl er mehr mir schreibt, als daß wir uns sehn.“ 1933 schreibt Hedwig Kubin einen ausführlichen Brief an Irene Heberle und gewährt Einblicke in die private Sphäre des Künstlers.  Mit diesem Brief klingt die Beziehung zwischen dem Hause Kubin und Irene Heberle aus.

Nach dem Tod von Dr. Max Heberle verebbten die Aktivitäten des Passauer Kunstvereins, der am 4. November 1930 seine Auflösung beschloss. Das Institut für Ostbayerische Heimatforschung übernahm die Bibliothek, die Schulden von etwa 680 Mark und die Rechtsnachfolge.

Irene Heberle starb 1949 in ihrem großen Doppelhaus in Dachau, ihre Schwester Mathilde Ade in ihrem kleinen Häuschen 1953, 76 jährig, ganz allein.

Literatur:

Akademie der Künste Berlin (Hg.): Klabund „Ich würde sterben, hätt ich nicht das Wort…“ ‚ Archiv-Blätter 21, Berlin 2010.

Antiquariat Hans Hammerstein (Hg.): Alfred Kubin, die Familie Heberle (Passau) und Klabund. Autographen und Bücher, 270 Nummern. Katalog Nr. 30, mit einem Vorwort von Dirk Heißerer, München 1991.

Markus Eberhard: Passauer Bürgertum von 1871 bis 1914. Biographische Studien, Vereinswesen, und politische Entwicklung, Passau 2014.

Wilfried Hartleb: Die Neuburg. Adelssitz und Künstlerschloss am Inn. Illustrierte Geschichte eines Baudenkmals. Kultur im Landkreis Passau, Band 50, Salzweg 2016.

Marianne Kesting (Hg.): Klabund. Der himmlische Vagant, Köln 1968.

Alfred Kubin: Von verschiedenen Ebenen. Malerbücher, Bd. 5, Berlin 1922

Kulturreferat (Hg): Berührungen. Hommage a Alfred Kubin. Kaleidoskop einer Kulturlandschaft. Kultur im Landkreis Passau, Band V, Landkreis Passau, Salzweg 2006.

Franz Mader: Tausend Passauer, Biographisches Lexikon zu Passaus Stadtgeschichte, Passau 1995

Nir-Vered, Müller, Scherbakowa, Reznikova (Hg.) Carola Neher- gefeiert auf der Bühne gestorben im Gulag, Studien und Dokumente zu Alltag, Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus, Band 4, Berlin 2016.

Paul Raabe: Alfred Kubin, Leben, Werk, Wirkung. Im Auftrag von Dr. Kurt Otte, Kubin Archiv in Hamburg, Hamburg 1957.

Eugen F. Strobel-Matza.: Eine unbekannte Bekannte – Mathilde Ade. Deutsche Exlibris-Gesellschaft: Exlibriskunst und Graphik, Jahrbuch 1991, S. 56 ff.