Grongörgen – eine spätgotische Wallfahrtskirche ganz in Farbe gehüllt

Grongörgen - eine spätgotische Wallfahrtskirche ganz in Farbe gehüllt

Wenn man die Wallfahrtskirche Grongörgen von weit weg fotografiert, merkt man, wie sie sich diese Kirche einfügt in das niederbayerische Hügelland nördlich von Griesbach, das Holzland genannt wird. Nur von einigen Bauernhöfen ist diese stattliche Landkirche umgeben, die das Landschaftsbild des oberen Wolfachtales prägt. Als sehr markantes sichtbares Wahrzeichen der Wallfahrtsstätte steht der massige spätgotische Westturm in der Landschaft, der eine zierliche barocke Zwiebelhaube hat.
Wir haben Grongörgen für den Tag des Offenen Denkmals ausgesucht, weil es ein Heiligtum der Kunstgeschichte im ostbayrischen Raum ist. Eine Vielfalt von Spuren aus der Entstehungszeit haben sich erhalten: Bauinschriften, Wappen, Wand- und Glasgemälde, die das Innere von Grongörgen noch heute zu einer aufregenden Raumschöpfung machen.
Man fragt sich, wie kommt es mitten in der Landschaft zu solch einem Kirchenbau mit einem Turm, der eigentlich im Verhältnis zur Kirchenschiff viel zu mächtig ist. Ist dieser Turm als ein stolzes Zeichen des Glaubens früherer Zeiten Ausdruck der Sehnsucht nach der Vereinigung mit dem Himmel?

Und warum wird eine Kirche nach dem Papst Gregor benannt, die einzige in ganz Deutschland?
Was ist an dieser irdischen Residenz Gottes so einzigartig?
Wenn man sich mit dieser Kirche beschäftigt, tun sich viele Fragen auf. Und wenn man Antworten sucht, dann muss man etwas vom Leben und Denken der Menschen unserer Vorfahren erzählen.
In dieser Kirche finden sich Spuren vieler gestalterisch tätiger Menschen: Baumeister, Künstler, Handwerker, finanzielle Förderer aber auch Spuren der Wallfahrer, die hier gewesen sind.
Es sind Rötelinschriften, also Graffiti aus der Zeit um 1600 in spätgotischen Kursivschriften: Es sind Ritzinschriften an der Nordwand neben dem Portal, über der Emporenbrüstung und an der Wand neben dem Sakristeieingang. Wir können das lateinische „hic fuit“ lesen: ist hier gewesen.

Spuren der Wallfahrer

Doppelwappen an der Südwand neben dem Sakristreivorraum

-rechts: auf grauem Grund ein roter Greifenkopf, aus grünem Dreiberg wachsend

-links: das quadierte Wappen der Trenbach mit Greifenkopf und Wecken. Ob sich das Wappen auf den Passauer Fürstbischof Urban von Trenbach (1561-1598), auf den Passauer Kanonikus Wolfart Ramseiden (+1540) beziehen, oder ob es sich um ein Ehewappen handelt, ist nicht geklärt.

Grongörgen Gesamtansicht

Die spätgotische Wallfahrtskirche Grongörgen ist von Farben geprägt. Farben sind Strahlungskräfte, die auf uns in positiver oder negativer Weise einwirken, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Farben sind immer um uns, am mächtigsten in ihren Erscheinungsformen in der Natur im Blau des Himmels oder im Braun der aufgerissenen Ackerschollen.
Die Erfahrungen, die mit einer Farbe in der Natur machen, prägen unser Farberleben. Ihnen entspringen auch die übertragenen Bedeutungen, wie wir einer Farbe beilegen: so der Erfahrung des neuen Grünens in der Natur die Bedeutung: Grün ist die Hoffnung.
So sind unsere Farbvorstellungen und Assoziationen zu Farben von der Farbsymbolik früherer Epochen geprägt. Die Farbsprache der abendländischen Malerei hat sich aus der christlichen Symbolik, von der sie Jahrhunderte hindurch getragen war, herausgebildet. Farben sind reale Kräfte, „Taten des Lichts“, wie Goethe sagt, der ja eine Farbenlehre geschrieben hat. Wenn wir das Licht löschen, verschwinden die Farben. Farben brauchen Licht, um überhaupt zu existieren. Unter der Wirkung einer Farbe stehen heißt also immer, unter einer realen Strahlung, einer Schwingungsfrequenz des Lichtes stehen.
Wenn wir von Farbe sprechen, dann müssen wir uns in dieser Kirche auch klar werden über das Licht und das Spiel des Lichts im Wechsel der Tageszeiten, das auf unterschiedliche Weise Farben erzeugt.

Geburtsurkunde der Kirche

Wenn man sich der Kirche nähert, dann fallen gleich zwei Inschriften auf.

Als große Seltenheit trägt die Wallfahrtskirche ihre Geburtsurkunde in Stein gemeißelt an der Außenwand der Ostseite des Sakristeivorraumes und an der Südseite des zweiten Turmgeschosses.

Die Kirche wurde in 12 Jahren erbaut, von 1460-1472.

Die Geburtsurkunde ist in Stein gemeißelt. Man kann man sie in gotischer Frakturschrift an der Außenwand der Ostseite des Sakristeivorraumes lesen.

Darunter sieht man das Meisterzeichen des Baumeisters.

Anno di Mille quadringenti sexaginta in die bartholomey
an gehebt chor
chirchn turn Czu ent pracht
Maister Thamann zu prawnaw septuaginta duo mardini.

Die Inschrift teilt dem Leser mit, dass Meister Thamann aus Braunau am Bartholomäustag (24. August) 1460 angefangen hat (an gehebet), Chor, Kirche und Turm zu erbauen, und dass er das Werk am Martinstag (11. Nov.) 1472 vollendet hat (zu ent pracht).

Bauinschrift am Turm

Die Inschrift an der Südseite des Turmes berichtet, dass man mit dem Bau des Turmes an Fronleichnam (corporis christi) 1468 begonnen hat.

Die Kirchenbauten des Meisters Thaman

Dieser Meister Thaman oder Thomas aus Braunau ist ein Baumeister, der mit einigen anderen Kirchen in Verbindung gebracht wird. Oberuttlau, Steinkirchen, Gergweis, Wolfakirchen. Beeinflusst wurde Thamann von dem Baumeister Stephan Krumenauer (1400-1461), der in seiner Heimatstadt Braunau wohnte und in Krumau geboren ist.

Krumenauer wirkte an der Stadtpfarrkirche St. Stephan in Braunau mit, dann St. Michael in Altötting, Erlach bei Simbach und als Baumeister für den Salzburger Dom. Stephan Krumenauer ist der Sohn von Hans Krumenauer, dem Baumeister am Passauer Stephansdom.

Im Mittelalter spielten sich alle Tätigkeiten in der Bauhütte vor Ort ab. Das Wissen und Können wurde durch das Vorbild der Meister von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Es war ein Werkstattsystem mit namenlosen Meistern, Gesellen und Lehrlingen, das sich organisch weiterentwickelt hat. Es war ein Prozess der Evolution und des stetig wachsenden Fortschritts, da jede Generation dazulernte und dieses neue veränderte Wissen an die nächste Generation weitergab.

Kopfkonsole

Meister Thaman hat sich rechts beim Zugang zur Sakristei verewigt: Diese Kopfkonsolen sind typisch für die Braunauer Schule.

Der dreidimensionale Kopf setzt sich als Fresco an der Wand fort. Der Oberkörper und die linke Hand und die Werkzeuge sind aufgemalt. Das Ganze wird von blaugrünen Blättern umspielt.

Kopfkonsole

Vom Oberkörper wird der linke Arm ausgestreckt– die Hand hält Hammer und Zirkel

Meisterzeichen der Handwerker

Rechts: Maurerkelle
Mitte: Meisterzeichen des Baumeisters Thomas von Braunau: einen Winkel, darauf ein Haus, im Winkel ein Kreuz
Links: drei kleine Schilder im Schild: Maler

Längsschnitt Grundriss

Der Bau hat die Ausmaße einer stattlichen Landkirche im spätgotischen Stil, aber alles ist besonders kraftvoll ausgebildet. Der Chor hat zwei Joche, das Langhaus, (Schiff) erstreckt sich über vier Joche. Die Langhaus- und Chorwände sind massiv ausgeführt. Die Fenster sind schmal und haben reiches Maßwerk. Im Chor haben die Fenster in den Maßwerken noch farbige Glasfenster. Diese Maßwerke sind eine gotische Zierform aus geometrischen Grundformen wie einem Kreis oder Blatt oder Paß und deren Öffnungen einspringenden Nasen.

Wie ein Ornament ist die Fensterteilung geometrisch ausgebildet. Wir sehen Jesus mit zwei Engeln.

Schmales Fenster oben Maßwerk

Die ornamental gestalteten Fensterrosetten, das Maßwerk, aus Pässen und Fischblasen gestaltet, erinnern an eine Blume, an die Sonne. Sie stellen die symbolische Verbindung zur göttlichen Liebe und Vollkommenheit her.

Zwei Gründe für die Schmalheit der Fenster: einmal war Glas zur Zeit der Gotik sehr kostspielig. Dann wollte man viel Wandfläche haben zum Anbringen von Wandmalereien. Die Malereien waren aber nicht bloß als Schmuck oder Auszier gedacht, sondern diese bildliche Erläuterungen erfüllten die sehr wichtige Rolle einer „Armenbibel“ für die des Lesens unkundige Landbevölkerung,

Grundriss der Kirche

Vorraum zur Sakristei (vermutlich Stumpf des ursprünglich hier geplanten Turmes) Sakristei, der Südportalvorhalle unter einem gemeinsamen Schleppdach.

Nordportal,

strebenverstärkter Chor, niedriger als das Schiff.

Westturm, der fast so breit ist wie das Schiff.

Gewölbe

Wenn wir nach oben schauen, dann sehen wir eigentlich eine flache Wölbung. Das ist typisch ist für die späte Gotik des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Die Wölbung der Decken nähert sich der Form einer Rundtonne, wie es eigentlich in der Romanik üblich war. Das hochgotische Prinzip der aufsteigenden und sich im Gewölbeschlussstein treffenden Linien wie in den gotischen Kathedralen sehen wir nicht.

Im Grundriss erkennen wie die verschiedenen Rippengewölbe, die wie ornamentale Netze aussehen. Dies ist typisch für die Spätgotik, dass die Gewölbezonen durchstrukuriert sind und zu dekorativen bauplastischen Kunstwerken werden.

Und wir sehen, dass die Wandpfeiler und Gewölberippen in warmen Ocker gemalt sind. Die Dienste präsentieren sich in Rottönen und sind marmoriert. Die Rippenkreuzungen sind in Grautönen gemustert. Aus den Kreuzungen wuchert üppiges Rankenwerk in verschiedenen Farben.

Die Gewölberippen wirken wie Ast- und Laubwerkgebilde, die die Natur nachahmen. Darin zeigt sich der Bezug zur Harmonie, die in der Natur waltet.

Die Gewölberippen sitzen einmal in beträchtlicher Höhe auf Konsolen auf.

Dann haben wir das Prinzip, dass die Gewölberippen auf halbrunde Dienste gesetzt werden, die vom Boden aus aufsteigen. Die Dienste sind als ein tragendes Element wie dem Wandpfeiler vorgebaut und nehmen die Gewölberippen auf.

Doch können diese Dienste nur ihren Dienst leisten und die Gewölbelasten tragen, weil es Wandpfeiler gibt, mit denen sie verbunden sind und denen sie vorgelegt sind. Über die Vermittlung dieser Dienste werden die drei Zonen Boden, Wand und Wölbung zur Einheit verbunden werden.

Figuriertes Gewölbe

Wir haben ein figuriertes Gewölbe, weil deren Rippen Figuren bilden. Größere und kleinere Rauten wechseln im Gewölbescheitel. Die aus den Wandgesimsen aufsteigenden Rippen bilden hier keine Rauten, sondern je ein unregelmäßiges Fünfeck. Die unregelmäßige Fünfeckform ergibt sich aus dem Wechsel großer und kleiner Scheitelrauten für die seitlich ansteigenden Felder. Die Gewölbe-rippen sind durchweg doppelt gekehlt. Die eigenwillige Figuration des Langhauses wird mit Thaman in Verbindung gebracht.

Chor

Die Wölbung zeigt im Chor eine sog. „geknickte Reihung“, die typisch ist für Thaman und die er bei Stephan Krummenauer in Braunau gesehen haben mag.Die Rippen müssen infolge der stumpferen Stichkappenwinkel geknickt werden. Trefflich bemessen ist der eingerückte Chorbogen, der das Altarhaus als eigenständigen Raumteil zur Wirkung bringt.

Rippengewölbe als Modell Kirchenbau im Mittelalter

Auf diesem Foto sehen wir ein Lehrbogenmodell für ein Rippengewölbe. Ein solches Modell diente als Vorbild für den Lehrgerüstbau. Mit diesem Modell konnte der Baumeister Winkel bestimmen, die der Steinmetz bei der Bearbeitung der sich kreuzender Rippenstücke brauchte.

Die Verwandlungsgeschichte der Kirche

Man spürt an diesem Kirchengebäude die Inspiration und die Spiritualität der Baumeister in früherer Zeit. Baumeister haben ja das Streben nach Ewigkeit ihrer Bauwerke. Doch es kommt auf die nachfolgenden Generationen an, sich denkmalpflegerisch und schöpferisch mit diesen Bauwerken auseinander zu setzen.

Ohne eine zeitgemäße Nutzung wären historische Gebäude dem Verfall preisgegeben. Moderne Menschen brauchen einen Bezug und eine Nutzung für diese Monumente. Historische Bauwerke können nur überleben, wenn sich jede Generation mit diesem Bauwerk auseinandersetzt.

Die Wallfahrtskirche Grongörgen hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert. Auf ihrem langen Weg ins 21. Jahrhundert hat Grongörgen viel erdulden müssen. Auch wenn in dieser Kirche im Kern eine spätgotische Kirche steckt, so lebt das heutige Erscheinungsbild vom Miteinander dieser Veränderungen. 1672 hat der Turm eine barocke Zwiebel erhalten, um 1720 kamen der barocke Hochaltar und Seitenaltäre dazu. 1844 gab es neue Altarblätter von dem Maler Josef Stoiber aus Regen (Papst Gregor, der Kirchenpatron). Besonders bei den Renovierungen von 1959-1962 kamen unter einer Kalkschicht wunderschöne Malereien zum Vorschein, die bei einer Renovierung im Jahr 1887 mit steingrauem Kalk übertüncht worden waren. Es waren die Denkmalschutzbewegungen, die sich im 19. Jahrhundert entwickelt haben, die den mittelalterlichen Bauten oft mehr Schaden zugefügt als genützt haben.

Wappenhimmel vor der Restaurierung

Wappenhimmel nach der Restaurierung

Restaurator Zuhamer im Chorbogen und Wappen

Das darüberliegende Inschriftenband: an(no)+d(omin)i+M+CCCC+LXII (1462) ist ein Hinweis, dass der Chor der Kirche bereits nach zweijähriger Bauzeit fertiggestellt wurde.

Die Herkunft der drei Wappen an der altarseitigen Leibung des Chorbogens konnte bisher nicht geklärt werden

goldener Kelch auf blauem Grund

-Fisch und Bischofsstab, gekreuzt auf blauem Grund

– waagerechter gelb und schwarzer Balken auf weißem Grund

Wände und Gewölbe wurden in der Gotik farbig gefasst und figürlich bemalt. Die Krabben am Spitzbogengiebel und die Spitze der Kreuzblumen über dem Portal sind nicht plastisch durchgeformt, sondern an die Wand gemalt.

Wie man an der Inschrift im inneren Chorbogen sehen kann, hat der Restaurator Zuhamer aus Altötting sich dort verewigt. Zuhamer hat die Restaurierung dieser Kirche im Jahr 1964 beendet.

Es ist sein großes Verdienst, der Kirche wieder ihre ursprüngliche Farbigkeit zurückzugeben zu haben, nachdem im 19. Jahrhundert die Farbigkeit unter dicker Kalktünche verschwunden war. Vor 50 Jahren ist die Restaurierung abgeschlossen worden. Das ist der zweite Erinnerungstag: Die Erinnerung an eine wegweisende Restaurierung einer gotischen Kirche.

Zuhamer hat die ursprüngliche farbige Fassung freigelegt, Grongörgen war eine der ersten Kirchen, wo die Farbigkeit der gotischen Kirchen wiederentdeckt wurde. Das war wegweisend.

So die gesamten Restaurierungsarbeiten im Kloster Asbach und auch von 1976 bis 1978 in der Kirche St. Martin in Vornbach. Das ist die Pfarrkirche St. Martin, die 1826 bis auf den Chor abgetragen wurde und nun als Friedhofskirche dient. Die Fresken stammen aus dem Jahre 1420. Auch diese Kirche zeigt, wie farbenfroh gotische Kirchen sind. Im 19. Jahrhundert hat es dem Zeitgeschmack gefallen, gotische Malereien zu übertünchen.

Diese Restaurierungen wurden vom damaligen Kreisheimatpfleger Theo Goller initiiert. Er hat sich sehr verdient gemacht auch mit der Beschaffung der nötigen Geldmittel.